Macron will eine zweite Chance: Mea culpa und ein ungedeckter Scheck

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Mit seiner feierlichen Fernsehansprache am Montagabend hofft der französische Staatspräsident Emmanuel Macron die erhitzten Gemüter der "Gelbwesten" beruhigen zu können. Mit einem rührenden Mea culpa und einer Reihe von Sofortmaßnahmen zur Kaufkraftsteigerung hofft er, den sozialen Frieden wiederherzustellen.

In einer 13-minütigen feierlichen Ansprache hat der französische Präsident Emmanuel Macron einen Weg aus der schweren Krise skizziert, in dem Frankreich nach einem mehrwöchigen Konflikt mit den "Gelben Westen" zuletzt am Rand eines Volksaufstands stand. Mit landesväterlicher Autorität verurteilte Macron zunächst die Gewalt bei den Protestaktionen. Er kündigte an, es werde für die Unruhestifter, die Polizisten attackiert hätten, keine Nachsicht geben. Er räumte aber ein, dass es legitime Forderungen in der Bewegung gebe - und auch, dass er die Wut dieser Bürger und Bürgerinnen in gelben Warnwesten verstehen könne. Denn ihre Not und ihre Empörung komme von weit her. Seit vierzig Jahren habe man sie vernachlässigt oder vergessen. Er beteuert, niemand solle denken, er kenne diese Menschen nicht.

Doch der amtierende Präsident möchte die Schuld an diesen Sozialproblemen nicht ausschließlich seinen Vorgängern in die Schuhe schieben. Er gibt seinen Anteil an der Verantwortung für diese Krise zu. In seinem Mea culpa sagte er: "Ich weiß, dass es vorgekommen ist, dass ich einige unter Ihnen verletzt habe." Nach den einleitenden Worten der Reue und des Mitgefühls zählte der Präsident auf, was er zu unternehmen gedenkt, um die Forderungen der Bewegung nach einer echten Kaufkraftsteigerung für die unteren Volksschichten zu erfüllen: eine Steigerung des monatlichen Brutto-Mindestlohns um 100 Euro ohne Zusatzkosten für die Arbeitgeber, die Befreiung der Überstunden von Steuern und Sozialabgaben und eine ebenfalls außerordentliche abgaben- und steuerfreie Prämie für die Arbeitnehmer in den Unternehmen, die dazu bereit sind. Dass er dieses Paket unter dem Slogan eines "sozialen und wirtschaftlichen Ausnahmezustands" ("Etat d'urgence economique et social") lanciert, verdeutlicht, wie sehr der Präsident das Messer der Revolte am Hals spürte.

Über die Sofortmaßnahmen hinaus will Macron eine Debatte organisieren über Anliegen und Alltagssorgen der Bürger, die im Wesentlichen von den Bürgermeistern auf kommunaler Ebene organisiert werden soll. Dabei könnten Fragen wie die öffentlichen Dienste, aber auch die Identität der Nation und die Immigration diskutiert werden. Davon erhoffe er sich neue Lösungen, die den Bedürfnissen entsprechen.

Keine Garantie auf Rettung der Amtszeit

Für ihn geht es darum, seine Amtszeit bis 2022 über die Runden zu retten. Und ob das gelingt, ist nicht garantiert. Der Preis für ein Einlenken oder eine Beruhigung ist von Woche zu Woche gestiegen. "Warum nicht gleich?", fragte in einer ersten Reaktion ein Vertreter der Gelbwesten, Alain Bouché, am Fernsehen. Auch er kann nicht sagen, ob die jetzt gehörten Worte und Konzessionen ausreichen, um den Konflikt zu beenden.

Oppositionelle nahmen die Rede des Präsidenten naturgemäß nicht als Erfolg war. Der Rechtsaußen-Politiker Nicolas Dupont-Aignan etwa reagierte ungehalten auf Macrons Worte der Reue: "Was für eine Heuchelei!" Der Linke Benoît Hamon meinte, der Kampf mache sich bezahlt: "Macron hat nachgegeben, aber zu wenig." Die Konservative Nadine Morano sah hingegen einen Fehler darin, dass Macron seinen Premier Édouard Philippe nicht ausgetauscht hatte - Philippe war in der Gelbwesten-Krise recht exponiert gewesen. Links-Politiker Jean-Luc Mélenchon richtete Macron aus, er würde sich in der Epoche irren: "Seine Worte sind vergeblich."

Bedenklich ist jedenfalls, dass Macrons Vorschläge zur Kaufkraftsteigerung mit einem ungedeckten Scheck bezahlt werden. Die Erhöhung des Mindestlohns soll ja aus der Staatskasse finanziert werden - und der Verzicht auf Sozialbeiträge für Überstunden geht zulasten des Sozialversicherungssystems Sécu.

Noch bevor Macron sich am Fernsehen an die Nation richten konnte, wurden am Montag auf dem Internet bereits Aufrufe zu einer nächsten Auflage der Steuerrevolte der "Gilets jaunes" publiziert. Zweifellos sollte so mit der Drohung mit einem weiteren, womöglich noch schlimmeren Chaos-Samstag in Paris und in der Provinz der Druck auf die Staatsführung noch vergrößert werden. Die Aussicht, dass sich analoge Zwischenfälle ein drittes Mal wiederholen, erscheint der Bevölkerung beängstigend, für die Geschäftsleute, deren Kaufhäuser oder Boutiquen aus Angst vor Verwüstungen und Plünderungen mitten im Weihnachtsgeschäft geschlossen bleiben mussten, ist der Konflikt eine Katastrophe. Der Konflikt hat nach Angaben des Wirtschaftsministers, Bruno Le Maire, bereits 0,1 Prozent BIP-Wachstum gekostet.

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