"Wie es ist, jemanden zu töten" - 13 Jahre Haft wegen Mordes

Hohe Sicherheitsstufe: Im gesamten Landesgericht für Strafsachen Wien galt ein Film- und Fotografierverbot. Wer in den Gerichtssaal wollte, musste gleich zwei Sicherheitsschleusen passieren und wurde namentlich registriert.
Hohe Sicherheitsstufe: Im gesamten Landesgericht für Strafsachen Wien galt ein Film- und Fotografierverbot. Wer in den Gerichtssaal wollte, musste gleich zwei Sicherheitsschleusen passieren und wurde namentlich registriert. APA/HELMUT FOHRINGER
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Der 16-Jährige, der einem siebenjährigen Nachbarkind mit einem Küchenmesser die Kehle durchgeschnitten hat und die Tat auf innere Stimmen zurückführt, wurde wegen Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt.

Sieben mit Splitterschutzwesten geschützte, mit Schusswaffen, teils mit Elektroschockpistolen und Bodycams ausgestattete Justizwachebeamte prägen das Bild. Inmitten dieser martialischen Szenerie wird er in den Gerichtssaal geführt. Im normalen Leben wäre er wohl so etwas wie ein Durchschnittstyp. Schlank, eher unauffällig. Brillenträger, keine besonderen Merkmale. Doch an diesem Tag sind alle Augen auf ihn gerichtet.

Robert K., der 16-Jährige, der am 11. Mai in der elterlichen Wohnung eines Gemeindebaus in Wien-Heiligenstadt ein siebenjähriges Nachbarkind tötete, wird nun mit Handfesseln und ebenfalls in einer schusssicheren Weste zur Anklagebank eskortiert. Da sitzt er nun – unter der Weste trägt er ein weißes, locker über den Hosenbund hängendes Hemd. Dazu eine schwarze Hose und schwarz Sportschuhe. „Jetzt bin ich Österreicher“, sagt K., als ihn Richter Daniel Rechenmacher nach seiner Staatsangehörigkeit fragt. Früher trug K. einen tschetschenischen Namen. Als er drei Jahre alt war, flüchteten seine Eltern mit ihm nach Österreich. Hier ging er ins Gymnasium – bis vorigen Mai.

Eis essen, Computerspiele, Würgen

„Da hat er die siebenjährige Hadishat brutal getötet“, sagt Staatsanwältin Monika Gansterer den Geschworenen. „Ich bekenne mich schuldig“, räumt K. ein, seiner Stimme haftet ein abwesender Tonfall an. Dass er vor dem Prozess beruhigende Medikamente bekommen hat, ist geradezu greifbar.

»Sein Vater war in Tschetschenien Chirurg. Aus dem Sohn sollte ein Arzt oder ein Anwalt werden.«

Psychiater Peter Hofmann über die Familiengeschichte des Angeklagten.

Die Siebenjährige, so wie der Angeklagte das Kind einer tschetschenischen Flüchtlingsfamilie, hat K. damals besucht. Der Jugendliche servierte dem Mädchen Eis. Und widmete sich anschließend wieder - wie so oft - seinen Computerspielen. Dann begann er mit dem, was er laut späteren – eigenen – Angaben erforschen wollte. Die Staatsanwältin: „Er hat sich schon vorher überlegt, jemanden zu erwürgen oder zu erstechen.“

K. begann mit dem Würgen. Warum? Der Angeklagte – er wirkt müde und gedämpft – erklärt ohne viel Regung: „Ich habe eine Stimme in meinem Kopf gehört, die hat gesagt, ich soll sie würgen. Dann soll ich sie in die Dusche bringen.“ Das habe er auch getan. „Ich habe sie in die Duschkabine getragen.“ Das Mädchen sei zu diesem Zeitpunkt unter Schock gestanden, habe alles mit sich machen lassen, erklärt die Staatsanwältin. „Dann kam das Zustechen und das Sägen. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, den Kopf ganz abgesägt zu haben.“

Ein mysteriöser Besuch

Kurz danach sei „sein Freund Raffael“ in die Wohnung gekommen. Dieser habe die Leiche gesehen. Und sei geschockt gewesen. Das ist neu. Das hat K. bisher nicht angegeben. Das Gericht geht nicht weiter darauf ein.

Am Tag nach der Tat ist die Leiche des Kindes in einem Müllcontainer des Gemeindebaus gefunden worden. Der 16-Jährige wurde als Täter ausgeforscht. Seine Familie wurde unter Polizeischutz gestellt. Und wurde in eine andere Wohnung gebracht. Dem Vernehmen ist die Familie unter den Augen der Polizei nach Tschetschenien zurückgekehrt. Bestätigen wollen die Behörden das nicht. Racheakte werden nach wie vor befürchtet. Daher auch die enormen Sicherheitsvorkehrungen beim Prozess – dem auch die Mutter des Opfers beiwohnt. Weinend, im Kreise anderer Verwandten.

„Er ist psychisch schwer krank“

Verteidigerin Liane Hirschbrich erhebt sich nach der kurzen Schilderung der Bluttat (eine genaue Schilderung will Robert K. nicht abgeben) und spricht mit Grabesstimme in die Stille: „Der Angeklagte ist psychisch schwer krank.“ Ohne Umschweife verweist sie auf jenes der beiden psychiatrischen Gutachten, welches K. als ausgeprägt schizophren und damit zurechnungsunfähig darstellt. Dieses Gutachten ist aus rein strafrechtlicher Sicht gleichsam die Trumpfkarte der Verteidigung. Denn: Wer nicht zurechnungsfähig ist, kann auch nicht bestraft werden. Was noch auffällt: Anwältin Hirschbrich sieht sich offenbar selbst in Gefahr. Sie lässt sich von einem hünenhaften Leibwächter begleiten. 

»Ich habe nie über diese Stimmen gesprochen. Es war mir peinlich.
«

Der Angeklagte Robert K.

Die Geschworenen folgen letztlich dem Gutachten von Psychiater Peter Hofmann, der den Burschen zum Tatzeitpunkt für durchaus zurechnungsfähig hält. Hofmann, ein Experte mit 30 Jahren klinischer Erfahrung, glaubt nicht, dass bei dem Gymnasiasten Robert K. zur Tatzeit die Dispositions- und Diskretionsfähigkeit aufgehoben waren.

Die acht Laienrichter verurteilen den Angeklagen wegen Mordes zu 13 Jahren Haft (15 Jahre wären maximal möglich). Sie bejahen also die Zurechnungsfähigkeit. Mit einem Stimmen-Votum von 7:1.

K. wird zudem in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Theoretisch könnte K. länger angehalten werden als 13 Jahre. Hat er seine Haft zur Gänze verbüßt (wenn er nicht vorzeitig bedingt entlassen wird), braucht er auch noch eine psychiatrische Bestätigung, um aus der Anstalt frei zu kommen.

K. nimmt das Urteil regungslos zur Kenntnis. Es ist vorerst noch nicht rechtskräftig. Verteidigerin Hirschbrich erbittet Bedenkzeit, Staatsanwältin Monika Gansterer gibt vorerst keine Erklärung ab. Beide haben drei Tage Zeit sich zu äußern.

"Die sahen aus wie Leichen"

Wäre K. erwachsen, würde ihm für Mord bis zu lebenslange Haft drohen.  Und was wäre, wenn K. als zurechnungsunfähig eingestuft wird? Immerhin meint ja der zweite Gutachter, Werner Gerstl, dass dem so sei. Dann wäre nur eine unbefristete Anstaltseinweisung möglich. Würde in einem solchen Fall ein Gutachter zum Beispiel schon nach drei Jahren den Angehaltenen als geheilt und ungefährlich sehen, könnte dieser wieder freikommen.

In Sachen Gesundheitszustand hat bei K. aber auch die klinische Psychologin Dorothea Stella-Kaiser ein Wörtchen mitzureden. Sie ortet bei K. narzisstische, zwanghaft Züge, „aber keine akute Schizophrenie“ zur Tatzeit.

Mittlerweile ortet übrigens auch Psychiater Hofmann das Vorliegen einer Schizophrenie. Im Laufe der U-Haft sei K. zum "Vollbild" dieser Erkrankung gelangt.

K. selbst bleibt bis zum Schluss dabei. Er höre ständig Stimmen. Er habe zuletzt auch Personen dazu gesehen. „Auch Mädchen wie Hadishat?“, fragt der Richter. Antwort: „Ja, aber die waren komisch. Die sahen aus wie Leichen.“

Erste Symptome in der fünften Klasse

Ein gefährlicher 16-Jähriger

Gutachten. Wäre Robert K. in Freiheit, bestünde hohe Gefahr, dass er weitere Tötungsdelikte begeht. Dies meinen beide Gerichtspsychiater.

Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte psychiatrische Gutachter, Peter Hofmann, der nach eigenem Bekunden auf 30 Jahre Erfahrung im klinischen Bereich zurückblickt (Uni-Klinik Graz), stuft den Angeklagten als zurechnungsfähig ein. Mittlerweile liege zwar das Vollbild einer Schizophrenie vor. Zur Tatzeit (11. Mai 2018) sei dies aber nicht der Fall gewesen. Hofmann: „Die Krankheit war nicht handlungsbestimmend.“ K. habe sehr wohl gewusst, was er tut. Er habe bei Tatbegehung viele Einzelentscheidungen getroffen. Auch noch danach: Nach der Tötung hatte K. die Duschtasse, in der er die Tat verübte, gereinigt. Weil durch das fast vollständige Abtrennen des Kopfes mittels Sägebewegungen Gewebestücke den Abfluss verstopft hatten, schraubte K. diesen auf – und säuberte ihn. Danach kam das Beseitigen der Leiche. Diese wurde in zwei Müllsäcke gepackt. Und in einem Müllcontainer abgelegt. Anschließend ging K. mit Freunden zu McDonald's.

Hingegen meint der vom Gericht beauftragte Linzer Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Werner Gerstl, dass schon zur Tatzeit eine Schizophrenie als „handlungsbestimmende Kraft“ gewirkt habe.

Daher sei K. nicht zurechnungsfähig gewesen. Schon im Laufe der fünften Klasse Gymnasium hätten sich erste Symptome gezeigt. Klar ist: Diese Klasse musste K. wiederholen, weil er in Mathematik durchgefallen war.

In einem Punkt sind die Psychiater einer Meinung: Ohne Behandlung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt ginge große Gefahr von K. aus – die Gefahr, erneut ein Tötungsdelikt zu begehen. (m. s.)

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