Brexit: Wie es nun weitergehen könnte

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Nach der deutlichen Niederlage für Theresa May im britischen Parlament ist das weitere Vorgehen ungewiss. Brüssel warnt: Ein harter Brexit sei nie wahrscheinlicher gewesen.

Die Reaktionen nach der Niederlage der britischen Premierministerin Theresa May im britischen Unterhaus sind harsch: Von einer "umfassenden Demütigung" für May, einer "Zerschmetterung" sprachen britische Medien, für sie habe es sich "ausgebrexit". "Kein Deal, keine Hoffnung, keine Ahnung, kein Vertrauen", hieß es andernorts.

Denn trotz all der Warnungen vor Chaos und Absturz, all der Appelle an die Vernunft haben die britischen Parlamentarier das von May ausgehandelte Brexit-Abkommen mit vernichtender Klarheit zurückgewiesen. Rund zehn Wochen vor dem geplanten Austritt stehen die britische Premierministerin Theresa May und die Europäische Union vor einem Debakel.

Wie nun auf die Schnelle einen Plan B zimmern? May will am kommenden Montag ihren Vorschlag machen. Viele Optionen bleiben nicht mehr, um einen chaotischen Bruch am Brexit-Tag 29. März abzuwenden. Ein Überlick.

1. Eine zweite Abstimmung im Unterhaus

Da die Niederlage mit 432 zu 202 Stimmen dramatisch ausfiel, hat ein neues Votum über den selben Deal wohl kaum Sinn. Die britische Regierung sei nun am Zug, neue Optionen zu überlegen. Diese Botschaft schallte einhellig aus Brüssel nach London. "Ich rufe das Vereinigte Königreich dringend auf, uns seine Vorstellungen über das weitere Vorgehen so rasch wie möglich mitzuteilen", forderte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Das bedeutet auch: Die EU will von sich aus erstmal nichts Neues anbieten. "Eine Neuverhandlung ist keine Option", sagte die amtierende EU-Ratsvorsitzende und rumänische Europa-Staatssekretärin Melania Ciot im EU-Parlament in Straßburg. Stattdessen hofft Brüssel auf Bewegung in London - entweder eine veränderte Position Mays oder mehr Einfluss der Opposition. Doch das würde für die Konservativen schwere Zugeständnisse bedeuten. Labour fordert eine umfassende Zollunion Großbritanniens mit der EU, was für viele Tories ein rotes Tuch ist. 

Zwei Faktoren könnten einen Umschwung in London fördern, vermutete Fabian Zuleeg von der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC): "Zusätzlicher Zeitdruck könnte helfen" - nämlich das immer näher rückende Austrittsdatum. "Und der wirtschaftliche Druck wird sich erhöhen", sagte Zuleeg der Deutschen Presse-Agentur.

2. Die Verschiebung des Brexits

Premierministerin May hat eine Verlängerung der Austrittsfrist über den 29. März hinaus immer und immer wieder abgelehnt. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass die konservative Regierungschefin ihre Linie ändert. Sie könnte einen Antrag bei den übrigen 27 EU-Staaten stellen und die würden nach Darstellung von Diplomaten wohl auch zustimmen.

Doch wäre das aus EU-Sicht nur sinnvoll, wenn es eine konkrete Begründung gäbe, etwa eine Neuwahl oder ein zweites Referendum in Großbritannien. Und es ginge nur für sehr begrenzte Zeit. Denn nach der Europawahl vom 23. bis 26. Mai konstituiert sich Anfang Juli das neue Europaparlament.

Sind die Briten da noch EU-Mitglied, müssten auch sie Abgeordnete nach Straßburg schicken. Dagegen rebelliert nicht nur der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Es wäre den Europäern nicht zu vermitteln, "dass ein Land, das die Europäische Union verlassen will, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, bei der Zukunftsgestaltung des Kontinents für die nächsten fünf Jahre, teilnimmt", warnte Weber am Dienstag.

3. Neues Referendum oder Neuwahl

Für ein zweites Referendum über die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens wäre die Frist bis Ende Juni sehr knapp. EPC-Fachmann Zuleeg rechnete vor, dass dies in Großbritannien nach Richtlinien der Wahlkommission rund fünf Monate Vorlauf bräuchte. Auch sei unklar, über welche Frage die Briten abstimmen sollten. Und würde das wirklich einen Austritt ohne Abkommen verhindern? "Wie viel Sicherheit gibt das eigentlich?", fragte Zuleeg.

Ein neues Referendum kann es zudem nur per Gesetzesbeschluss geben. Weder die Tory- noch die Labour-Führung befürworten dies, dafür eine wachsende Zahl an Hinterbänklern. Sie machten sich schon kurz nach der Abstimmung am Dienstag fraktionsübergreifend für eine Neuabstimmung stark.

Einstellung der Briten zum Brexit
Einstellung der Briten zum BrexitAPA

Auch Neuwahl könnte eine gütliche Brexit-Lösung voranbringen, zumal die oppositionelle Labour-Partei mehrheitlich eine engere Bindung an die EU befürwortet, mit einer Zollunion und Anbindung an den EU-Binnenmarkt. Schon kurz nach der Abstimmung machten sich oppositionelle Parlamentarier für ein zweites Referendum stark.Labour-Chef Jeremy Corbyn will den Sturz der Regierung bereits am Mittwoch über ein Misstrauensvotum erzwingen. Seine Erfolgsaussichten gelten allerdings als gering.

4. Rückzieher des Brexit-Antrags

Den Weg hat der Europäische Gerichtshof in einem Urteil im Dezember eröffnet: Großbritannien könnte seinen Antrag auf Austritt aus der Europäischen Union jederzeit einseitig zurückziehen, also auch noch unmittelbar vor dem Austrittsdatum. Das Land bliebe einfach wie bisher Mitglied der EU. Ein weiterer Austrittsantrag ist damit nicht ausgeschlossen. Man hätte Zeit gewonnen.

Aber: Einem solchen Rückzieher müsste das britische Parlament zustimmen. "Das ist eine sehr hohe Hürde", meinte Zuleeg. In der britischen Innenpolitik hatte diese Option bisher kaum eine Rolle gespielt. Doch offenbar ziehen immer mehr Hinterbänkler diese Opposition in Erwägung.

5. Der Sturz über die Klippe

Corbyn verwies in der Parlamentsdebatte am Dienstag darauf, dass das Unterhaus mehrheitlich gegen einen No-Deal-Brexit sei, also gegen einen ungeregelten Austritt ohne Vertrag, bei dem dramatische wirtschaftliche Verwerfungen befürchtet werden. Aber wie die geordnete Lösung aussehen soll, ist damit immer noch unklar. Angesichts der tiefen Spaltung der britischen Politik und der Tatsache, dass einige britische Abgeordnete einen "No Deal" nicht schlimm finden, wird nicht ausgeschlossen, dass das Land quasi aus Versehen oder aus Zeitnot doch über die Klippe schlittert.

Für Wirtschaft, Arbeitnehmer und Bürger brächte dies dramatische Unsicherheit und voraussichtlich einen Konjunktureinbruch.

EU-Brexit-Chefverhandler Michel Barnier warnte am Mittwoch daher vor diesem Szenario. "Noch nie war das Risiko eines No Deals so groß", meinte er. "Solange wir keinen Ausgang für die britische Sackgasse gefunden haben, sind wir nicht in der Lage weiterzumachen", sagte Barnier. "Zum jetzigen Zeitpunkt kann kein einziges Szenario ausgeschlossen werden. Das ist auch wahr für den No Deal, den ungeregelten Austritt." Die EU sei jedoch weiter entschlossen, ein solches Szenario zu vermeiden.

Der weitere Fahrplan

16.1.: Angekündigtes Misstrauensvotum der oppositionellen Labour-Partei gegen die britische Premierministern Theresa May (20 Uhr)

21.01.: Premierministerin May will ihren Plan B vorlegen - vorausgesetzt, sie übersteht das Misstrauensvotum.

31.01.: Spätestens sieben Sitzungstage später - also am 31. Jänner - muss die Regierung über den Plan B abstimmen lassen. Die Abgeordneten könnten den Plan B ändern und eine engere Anbindung an die EU fordern oder sogar ein zweites Referendum.

29.03.: An diesem Tag um 23.00 Uhr britischer Zeit tritt das Vereinigte Königreich aus der Staatengemeinschaft aus - falls der Brexit nicht auf Wunsch Großbritanniens verschoben wird.

(APA/dpa/red.)

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