ORF-"Schauplatz": Paranoia am Küniglberg

ORFSchauplatz Paranoia Kueniglberg
ORFSchauplatz Paranoia Kueniglberg(c) Clemens Fabry
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Schuldzuweisungen, gegenseitige Attacken und ein Maulkorb für Journalisten: Die Debatte um den ORF-"Schauplatz" scheitert an politischen Eitelkeiten und der Paranoia auf dem Küniglberg.

Ed Moschitz ist nicht zu sprechen. Und zwar ausnahmsweise wirklich nicht. Der Kollege befinde sich derzeit auf einem Familienurlaub in der Türkei, sagt sein Chef Christian Schüller.

In den vergangenen Wochen war Moschitz nicht zu erreichen, obwohl er im Büro saß. Eine Dienstanweisung verbietet dem ORF-Journalisten, mit Kollegen von anderen Medien zu reden. Die Anwälte hätten das so empfohlen, heißt es auf dem Küniglberg. Wer Moschitz anruft, landet für gewöhnlich bei seinem Chef.

Wenn Journalisten nicht mehr mit Journalisten reden dürfen, läuft irgendetwas falsch. Ed Moschitz gehört zu den wenigen, die genau wissen, was am 12. März in Wiener Neustadt passiert ist. Doch er kann sich weder verteidigen, noch Fragen beantworten oder Missverständnisse aufklären. Am Wort ist stattdessen ORF-Kommunikationschef Pius Strobl: „Wir haben die Angelegenheit durch gute Krisen-PR in den Griff bekommen“, findet er.

Dieser Einschätzung muss man sich nicht bedingungslos anschließen. Seit fast einem Monat ist die „Am Schauplatz“-Reportage von Ed Moschitz über zwei Wiener Skinheads nun schon Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen und gerichtlicher Ermittlungen. Doch wirklich im Griff hat den Disput lediglich die FPÖ, die als einzige Streitpartei davon profitieren wird. Die übrigen Kombattanten sind vorwiegend damit beschäftigt, sich selbst zu beschädigen.

Dabei ist äußerst fraglich, ob strafrechtlich überhaupt etwas übrig bleiben wird. FP-Chef Heinz-Christian Strache will bekanntlich gehört haben, dass die zwei Skinheads auf seiner Veranstaltung „Sieg Heil“ skandierten – und zwar erst, nachdem sie vom ORF-Reporter mit den Worten „Sagt's es endlich“ dazu animiert worden waren. Beweise für diese Behauptungen hat Strache bisher nicht geliefert. Aber er hat die zwei jungen Männer, Philipp und Kevin, sowie ORF-Reporter Moschitz wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung angezeigt. Ein vom Gericht bestellter Gutachter prüft derzeit, ob auf den Tonspuren der Aufnahme tatsächlich ein „Sieg Heil“ zu hören ist, oder ob das Band möglicherweise nachträglich manipuliert wurde. Nächste Woche könnte ein Ergebnis vorliegen.

Noch nicht geklärt ist auch, ob der ORF das komplette Rohmaterial der Reportage herausgeben muss, wie die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt fordert. Der Vorhabensbericht liegt zur rechtlichen Beurteilung im Justizministerium. ORF-Magazinchef Johannes Fischer liebäugelt bereits mit ein paar Tagen in Beugehaft – zwecks Sicherung des Redaktionsgeheimnisses.

Um die strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe geht es aber ohnehin nur am Rande. Langfristig bedeutender ist die Frage, mit welchen Recherchemethoden der öffentlich-rechtliche Rundfunk arbeiten darf. Diese Diskussion könnte interessant sein – würden nicht alle Beteiligten durch größtmögliches Desinteresse für die Fakten glänzen.

Die FPÖ etwa spielt mit viel Begeisterung die Rolle der verfolgten Unschuld. Generalsekretär Harald Vilimski meinte neulich, er vermisse „die letzten Reste an politischem Gewissen“, Heinz-Christian Strache bot treuherzig seine Verkabelung mit einem Lügendetektor an. SPÖ und Grüne waren an Details der Causa nie sonderlich interessiert und wissen ohnehin, wer schuld ist: Polizei und Justiz, die dem ORF unbotmäßig zusetzen. SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim wünscht sich eine Untersuchungskommission, der Grüne Peter Pilz brachte eine Anzeige wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und Nötigung ein. Die ÖVP wiederum nutzte die Gelegenheit, um ein wenig Unfrieden in der Koalition zu stiften: Man solle doch, meinte VP-Nationalratsabgeordneter Ferry Maier, noch einmal über das (längst ausverhandelte) ORF-Gesetz reden: „Es ist ohnehin kein großer Wurf.“

Von der eigentlichen Problematik ist das alles so weit entfernt wie Philipp und Kevin von einem Einsatz im Jungherrenkomitee beim Opernball. Aber der Aktionismus täuscht wenigstens darüber hinweg, dass allen Beteiligten der Text für eine ernsthafte Mediendiskussion fehlt.

Die Reaktionen vom Küniglberg sind irgendwo zwischen Paranoia und schlechtem Gewissen anzusiedeln. Kritik von außen wird von Pius Strobl flugs als Unterstützung der Freiheitlichen gedeutet. Das Vorgehen der Justiz hält der Sender für überzogen und FP-gesteuert. Von Anfang an nicht dementiert wurde, dass der ORF die zwei Skinheads im Auto zur Strache-Veranstaltung kutschierte. Wie viel Geld insgesamt geflossen ist, ließ sich in vierwöchiger Recherche allerdings nicht klären. Waren es wirklich nur 100 Euro pro Mann zur Abgeltung der Persönlichkeitsrechte, wie Pius Strobl behauptet? Oder waren es rund 700 Euro, wie Skinhead Kevin angibt? „Am Schauplatz“-Chef Christian Schüller rüstet sich für den worst case: „Auch wenn sie jeden Tag 100 Euro gekriegt hätten, würde das nicht bedeuten, dass ihre Aussagen gekauft sind.“ Er wisse lediglich, dass der Reporter einmal eine Handy-Karte spendiert habe und Philipp zudem 50 Euro zum Shoppen bekam. „Dafür hat er sich zwei T-Shirts gekauft.“ Außerdem, so Schüller, seien die zwei Männer wohl ein paar Mal zum Essen eingeladen worden.

Schweigen der Chefs. Die zwei T-Shirts fallen Pius Strobl nach längerem Nachdenken schließlich auch noch ein. Seines Wissens nach hätten sie aber nur 20 Euro gekostet. Ob es öffentlich-rechtlich oder einfach nur moralisch in Ordnung ist, wenn sich zwei Rechtsradikale auf ORF-Kosten und vor ORF-Kameras mit einschlägigen Utensilien ausrüsten, kann Strobl nicht beantworten: „Es gibt Argumente dafür und dagegen. Wenn es dramaturgisch notwendig wäre, könnte man es wahrscheinlich genehmigen.“

ORF-Chef Alexander Wrabetz und Informationsdirektor Elmar Oberhauser haben bisher geschwiegen und ihren Angestellten die Verteidigung überlassen. „Intern wurde alles besprochen“, knurrt Oberhauser auf Anfrage. Es sei nicht nötig, sich auch noch in der Öffentlichkeit zu äußern. Am kommenden Montag wird er das dennoch tun müssen. Der Publikumsrat tritt zu einer Sondersitzung in der Causa zusammen, Wrabetz und Oberhauser sind als Referenten geladen. Der Infochef soll unter anderem erklären, wo er die Grenzen der journalistischen Inszenierung sieht. Viel Konkretes werden die Publikumsräte wahrscheinlich nicht erfahren. „So etwas kann man nicht regeln“, sagt Oberhauser, „das ist von Fall zu Fall verschieden“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2010)

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