Wer wünscht sich schon den allmächtigen Staat zurück

Hat die Ostöffnung unsere Werte verändert? Sie hat. Aber nicht nur deswegen wurden wir ichbezogener und materialistischer.

Vor 20 Jahren sah die Welt plötzlich anders aus. Ein Großteil der kommunistischen Staaten war zusammengebrochen. Österreich kam von einer politischen Randlage ins Zentrum Europas, das wiederum nach und nach vom elitären Klub reicher Staaten zu einem komplizierten Gebilde mit 27 Mitgliedern anwuchs – wobei Österreich zu den kleineren zählt. Mit 9/11 wuchs die stete Angst vor terroristischer Bedrohung. Und dann erschütterte zu Ende dieses Jahrzehnts auch noch eine Wirtschaftskrise die Welt. Hat das alles die Werte der Österreicher verändert?

Es hat. Aber nicht nur das. Christian Friesl ist einer der Autoren der 2009 publizierten österreichischen Wertestudie, die sich mit dem Wandel in den letzten beiden Jahrzehnten beschäftigt. Er ist überzeugt, dass die „österreichische Wende“ im Jahr 2000 zumindest einen ebenso entscheidenden Punkt im Umdenken der Österreicher markiert, wie die eingangs erwähnten Ereignisse. „Recht und Ordnung wurden versprochen, aber nicht erfüllt“, so Friesl. FPÖ und BZÖ täten im Übrigen nach wie vor so, als könnte man Österreich zusperren und alles Üble aussperren. Mit der Enttäuschung darüber, dass das nicht geht, waren Glaube und Vertrauen in Politik und Demokratie erschüttert, ist Friesl überzeugt. 2008 kam dann auch noch die massive Unzufriedenheit mit der Großen Koalition unter Alfred Gusenbauer hinzu.

Der Materialismus zählt. Gepaart mit der Globalisierung, dem steigenden Leistungsdruck und dem Tempo in der Arbeitswelt machte das die Österreicher weit ichbezogener und materialistischer. 2008 schätzten sich beispielsweise 28 Prozent als klar materialistisch ein. Dem Individualismus maßen zur selben Zeit 78 Prozent höchste Bedeutung bei. Zehn Jahre davor hatten nur acht Prozent mit Materialismus etwas am Hut, als Individualisten wollten sich aber schon damals 72 Prozent sehen. Der hatte seinen Aufschwung schon ab 1990 genommen, als die Ichbezogenheit noch bei 55 Prozent lag.

Auch Meinungsforscher Peter Ulram (Fessel+Gfk) registriert ein Zurückdrängen der Staatshörigkeit in Österreich. „Heute glauben nur noch 15 Prozent der Nichtpensionisten, dass ihre Pension gesichert ist. Vor drei Jahrzehnten waren noch zwei Drittel vom Gegenteil überzeugt.“ Interessant ist, dass der Wunsch nach staatlicher Absicherung nach wie vor vorhanden ist, das Vertrauen in den Staat aber nicht mehr. „Diese Schere hat sich massiv geöffnet“, so Ulram. Selbst die Wirtschaftskrise änderte das nicht. Von einem Revival des Staates keine Spur.

Friesl sieht das ähnlich. Diejenigen, die sich nach der Krise weniger wirtschaftsliberal geben, wollen den Staat nicht als Machtfaktor zurück. „Es ist eher eine Position der Mitte“, sagt er, ein durchaus guter Boden für eine soziale Marktwirtschaft. 1990 wollten 57 Prozent der Österreicher mehr staatliche Unternehmen privatisieren und nur vier Prozent den Staat als Unternehmer forcieren. 2008 waren es zwar nur noch 29 Prozent, die mit fortschreitender Privatisierung ihre Freude hatten. Entscheidend ist aber, dass trotzdem nur neun Prozent nach dem Staat als Unternehmer rufen. Auch noch auffällig an der Einstellungsänderung der Österreicher ist die sich stetig verstärkende Ausländerfeindlichkeit, das massive Einigeln, eine gewisse Einschränkung des internationalen Horizonts und eine massiv gestiegene EU-Skepsis.


Die Xenophobie steigt. Zwischen 1994 und 2008 nahm beispielsweise die Zustimmung zu xenophoben Behauptungen um zehn Prozentpunkte zu (von 45 auf 55 Prozent). In der Frage, wen man nicht gern als Nachbarn haben will, verdoppelte sich zwischen 1990 und 2008 die Ablehnung von Muslimen von 15 auf 31 Prozent, bei Menschen anderer Hautfarbe stieg sie sogar von acht auf 18 Prozent. „Interessant ist, dass in einer Studie von 1989 das Ausländerthema bei uns im Gegensatz zu Deutschland so gut wie nicht vorhanden war“, so Ulram. Das änderte sich mit dem Aufschwung Jörg Haiders, nahezu jedem folgenden Wahlkampf und den mit der Grenzöffnung real existierenden Kriminalitäts- und anderen Problemen massiv.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2010)

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