Die neuen Szenarien im Brexit-Chaos

Der Brexit führte Theresa May am Dienstag auch erneut nach Paris. Am Mittwoch wird in Brüssel in großer Runde weiter debattiert.
Der Brexit führte Theresa May am Dienstag auch erneut nach Paris. Am Mittwoch wird in Brüssel in großer Runde weiter debattiert.(c) Reuters
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Die Brexit-Frist wird verlängert. Großbritannien muss vermutlich an der EU-Wahl teilnehmen, wenn nicht doch noch ein kleines politisches Wunder geschieht.

Und wieder soll es ein neues Brexit-Szenario geben: Die 27 EU-Regierungen wollen am Mittwochabend auf einem erneuten Sondergipfel klären, wie es rund um den Austritt Großbritanniens aus der EU weitergehen soll. Dabei gilt als sicher, dass London eine neue Frist erhalten wird, um einen ungeordneten Brexit an diesem Freitag zu vermeiden.

Sollten die Briten dem aber nicht zustimmen, werde der Brexit automatisch am 1. Juni vollzogen, heißt es im Entwurf der Abschlusserklärung des Sondergipfels. Denkbar sind wegen der unklaren politischen Situation in London und der Stimmung im Kreis der EU-27, die dem Entwurf einstimmig zustimmen müssen, aber verschiedene Szenarien.

Geregelter Austritt vor dem 22. Mai

Egal wie lange eine Verlängerung für Großbritannien sein wird, ob bis zum 30. Juni wie von Premierministerin Theresa May vorgeschlagen, oder bis mindestens Ende des Jahres, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk angeregt hat: May hofft, dass ihr eine Einigung mit der Opposition in London noch vor dem 22. Mai gelingt. An diesem Datum beginnen in der EU die Europawahlen.

Nach diesem Szenario würde die britische Regierung zwar die Vorbereitung für die britische Teilnahme an den Europawahlen einleiten, für die das Stichdatum in Großbritannien der 12. April ist. Allerdings bräuchte die Wahl dann im Königreich nicht mehr durchgeführt zu werden. Dies würde Rechtssicherheit für die EU-27 schaffen. Die von der EU gesetzte Verschiebung des Austritts dürfte dann auf jeden Fall ausreichen, um auch die für den Austritt noch nötigen Gesetze im Unterhaus passieren zu lassen.

Ungeregelter Austritt am 1. Juni

Sollte May einem Beschluss der EU-27 am Mittwochabend nicht zustimmen, droht theoretisch nach dem Entwurf der Gipfelerklärung ein harter Brexit am 1. Juni. Zwar hat die EU diese Frist bereits einmal verschoben. Aber die Stimmung auf dem Kontinent trübt sich gegenüber London weiter ein. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnt, dass die EU auf ihre eigenen Interessen achten müsse - und weiter unklar sei, wo London eigentlich hin wolle.

Dieser Fall könnte auch eintreten, wenn Großbritannien die Vorbereitungen für die Teilnahme an der Europawahl verschleppen sollte oder aus innenpolitischen Gründen wieder abbrechen müsste. Denn dann drohen rechtliche Unsicherheiten für die übrigen 27 EU-Staaten: Das Königreich wäre zum Zeitpunkt der Wahl noch EU-Mitglied ohne zu wählen - dies würde auch EU-Bürger im Königreich und Briten in der restlichen EU betreffen.

Ein Grund für dieses Szenario könnte auch sein, dass die britische Regierung keine ausreichenden Zusicherungen gibt, dass das Land die EU in den Monaten nach der Europawahl nicht blockieren wird. Dies fordern etwa die harten Brexiteers für den Fall, dass doch noch britische Abgeordnete zunächst ins EP einziehen. Eine Blockade könnte etwa das EU-Budget und die Auswahl des EU-Kommissionspräsidenten treffen.

Verlängerung bis Jahresende oder März - Version 1

Weil Konfliktlösungen zwischen Regierung und Opposition in Großbritannien schon wegen des dortigen Mehrheitswahlrechts keine Tradition haben, könnte es länger dauern, bis Konservative und Labour-Partei sich auf die Modalitäten eines Brexits einigen. Deshalb hatte etwa Tusk eine Verlängerung bis Jahresende vorgeschlagen, andere Vorschläge reichen sogar bis zum 1. März oder 31. Dezember 2020.

Bleibt die britische Regierung bei ihrem Austrittskurs, gäbe es also wesentlich mehr Zeit für eine Einigung im Unterhaus. Ein Austritt des Königreichs würde dann wahrscheinlich auf Grundlage des ausgehandelten Austrittsvertrages und einer zusätzlichen, erweiterten oder präzisierten Erklärung über die politische Zukunft der Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU erfolgen. Die EU-27 haben deutlich gemacht, dass der Austrittsvertrag selbst nicht erneut aufgeschnürt wird.

In diesem Szenario würden die britischen Abgeordneten ins neue Europäische Parlament einziehen. Wie im folgenden Szenario zwei würde man darauf pochen, dass sich die Regierung und die Abgeordneten angesichts des weiter bestehenden Austrittswunsches bei anstehenden Entscheidungen in der EU aber eher passiv verhalten.

Lange Verschiebung, Version 2 - neue Debatte über Brexit

Viertes Szenario wäre, dass eine längere Verschiebung des Brexit-Datums in London dazu führt, dass entweder Neuwahlen oder ein zweites Referendum angesetzt werden. In beiden Fällen könnte das Ergebnis sein, dass sich eine Mehrheit gegen den EU-Austritt ausspricht. Dann würden die Verhandlungen mit der EU beendet, indem das Königreich den Artikel 50 - also den Antrag auf Austritt - zurückziehen würde. Sowohl Neuwahlen als auch ein zweites Referendum könnten allerdings auch dazu führen, dass die Mehrheit der Briten sich erneut für einen Brexit ausspricht - dann würde Szenario drei eintreten.

(APA/Reuters)

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