Im zweiten Teil der Kooperation mit der "Presse" präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ das hochbrisante Thema Klimapolitik. Heute: Stefan Schleicher über den zwischenzeitlichen Hype, der sich ohne Strategien schnell zum Tief wandeln könnte.
Klimapolitik erlebt zurzeit ein Zwischenhoch. Ausgelöst wurde es durch die zur Ikone gewordene Schülerin Greta Thunberg mit ihrem Sitzstreik vor dem schwedischen Reichstag, wenige Tage vor den dortigen Wahlen im September des Vorjahres. Weltweit sichtbar wurde die mit ihrem Namen eng verbundene Bewegung Fridays for Future mit Demonstrationen in weit über hundert Staaten.
Setzt Ursula von der Leyen auf Klimahype?
Die aktuellste Ausprägung dieses klimapolitischen Zwischenhochs ist die Rede von Ursula von der Leyen vor dem Europäischen Parlament. Ihre Aussagen zur Klimapolitik ließen aufhorchen und waren möglicherweise entscheidend für den knappen Erfolg bei der Abstimmung um das Amt der Präsidentin der Europäischen Kommission. Im Poker um die Stimmen setzte Frau von der Leyen auf zwei Zahlen: erstens soll Europa bis 2050 klima-neutral werden, also nicht mehr zur Erhöhung der Treibhausgase in der Atmosphäre beitragen; zweitens soll das derzeitige Reduktionsziel für 2030 von 40% auf 50% und möglicherweise 55% erhöht werden.
Der ökonomische Blick
Jeden Montag gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.
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Nur unzureichend mitgeliefert wurden bei diesem Ziel-Poker die Strategien, mit denen diese zweifellos ambitioniertere Klimapolitik unterfüttert werden könnte. Deshalb zur Erinnerung einige Hinweise, mit welchen gravierenden Weichenstellungen solche Ziele zu verbinden wären: ein Stopp für jede neue Infrastruktur für Fossile, von Heizkesseln für Öl und Gas bis zu neuen Pipelines; ein schneller Ausstieg aus Kohle für Elektrizität, vor allem in Deutschland und in Polen; Öl und Gas für Gebäude nur noch im Ausnahmefall; mindestens eine Halbierung des Verbrauchs von fossilen Treibstoffen und nur mehr geringe Anteile von konventionellen Fahrzeugen ab 2025.
Vom Klimahoch zum Klimatief
Erst ein solcher Beipackzettel zum Zahlen-Poker über Klimaziele macht die unerwünschten Nebenwirkungen einer vom Klimahype getriebenen Klimapolitik sichtbar. Das klimapolitische Zwischenhoch könnte nämlich schnell wieder vom gewohnten stationären Tief abgelöst werden, wenn in der Rede von Frau von der Leyen weitergelesen wird. Die von ihr genannten Investitionen für den Umbau unseres Energiesystems würden sich umgelegt auf Österreich mit nicht mehr als zwei Mrd. Euro pro Jahr niederschlagen. Mindestens die zehnfache Anstrengung wäre tatsächlich erforderlich. Ähnliches gilt für die vorgeschlagene Bepreisung von Emissionen, um Verhaltensänderungen zu erzielen. Ein solcher Preis müsste mindestens bei 100 € pro Tonne CO2 liegen, was beispielsweise einen Liter Treibstoff um 25 bis 30 Cent verteuern würde. Aber auch damit werden die erforderlichen wirklich radikalen Änderungen bei Mobilität nicht bis 2030 in Gang kommen, abgesehen vom fehlenden politischen Konsens.

Klimapolitik jenseits vom Klimahype
Soll das von Greta Thunberg bis Ursula von der Leyen getragene Zwischenhoch in der Klimapolitik nicht nur Klimahype bleiben, werden andere Orientierungen notwendig sein, um auch in Österreich die noch weißen Flecken auf der politischen Agenda auszufüllen. Dazu drei Anregungen.
Erstens sollen sich weder Wissenschaft noch Politik scheuen aufzuzeigen, dass wir uns in einer ähnlichen Situation befinden, die vor genau 50 Jahren zur ersten Landung von Menschen auf dem Mond führte. Als die Politik dieses Ziel festlegte, war noch nicht absehbar, wie das gelingen sollte. Aber es wurden mit enormen finanziellen Mitteln jene innovativen Kräfte mobilisiert, von denen schließlich weit über die Mondlandung hinaus bis heute unser globaler Wohlstand profitiert. Die Abbildung 1 zeigt diese aus heutiger Sicht Mission Impossible für Österreich.

Zweitens wäre zu erinnern, dass das derzeitige Verständnis von Energiesystemen oft an eine Kompetenz erinnert, wo sich jemand nach dem Blick auf ein Foto schon die Steuerung eines Flugzeugs zutraut. Analog ist allein mit dem üblichen Vokabular von Erneuerbaren, Effizienz und Energiewende die Bewältigung der Transformation unserer Energiesysteme aussichtslos.
Drittens soll nicht der Eindruck erweckt werden, es liegen fertige Rezepte in irgendeiner Schublade, die nur noch umzusetzen wären, um ambitionierte Reduktionsziele zu erfüllen. Etliche der bisher vorgeschlagenen Maßnahmen, wie Elektrizität zu 100 Prozent aus Erneuerbaren oder die Verdoppelung von Sanierungsraten für Gebäude erweisen sich für die Zielerreichung als irrelevant oder sogar potenziell kontraproduktiv. Elektrizität soll nämlich zusammen mit Wärme samt den Technologien von Cogeneration und Wärmepumpen betrachtet werden. Damit können in einer Übergangsperiode auch mit Erdgas gut dreiviertel an Emissionen reduziert werden. Gleichermaßen sollen Gebäude Funktionen bei der Bereitstellung und Speicherung von Energie übernehmen, die nicht durch Sanierungsraten sichtbar werden.
Nächste Schritte, Handlungsfelder und Gesetze
Startpunkt für die nächsten Schritte zu einer zukunftsfähigen Klimapolitik in Österreich sind zwei nur scheinbar paradoxe Empfehlungen. An erster Stelle ein ganz anderer Blick auf das Energiesystem, nämlich nicht welche Energie wir beziehen, sondern wofür Energie letztlich gebraucht wird.

Die Abbildung 2 skizziert dies in einer Aufteilung für thermische, mechanische und spezifisch elektrische Anwendungen samt den Verlusten in unserem Energiesystem. Damit werden die Grenzen der traditionellen Sektoren für die Energiebereitstellung bewusst überschritten. Dann eine Erinnerung an das Parlament, die derzeit geplanten Initiativen für eine Prolongierung der Förderung von Erneuerbaren nicht zu behandeln, weil damit zukunftsfähige Transformationen - wie Energy Hubs mit voll integrierten Komponenten für die Verwendung, Transformation, Speicherung und Bereitstellung von Energie - eher behindert als gefördert werden.
Als Nächstes wären neue Handlungsfelder bewusst zu machen, mit denen Energieeffizienz und die Rolle von Erneuerbaren viel besser wirksam werden könnten. Es geht um multifunktionale Gebäude, die auch eine tragende Funktion bei der Bereitstellung und Speicherung von Energie übernehmen. Es geht um verschränkte Mobilität, die sich als Zugang zu Personen, Gütern und Orten versteht und nicht mehr immer eine Verkehrsbewegung erfordert, weil bewusst auch Kommunikationstechnologien beachtet werden. Es geht um integrierte Netze für Elektrizität, Wärme und Gas aber auch um das alle Komponenten der Energiesysteme koordinierende IT-Netz. Diese neuen Netzstrukturen verwischen die Grenzen zwischen Bereitstellung und Verwendung von Energie, rezyklieren Wärme in Anergienetzen und transportieren künftig auch biogenes Gas und Wasserstoff.
Schließlich wäre dieses neue Verständnis von Klimapolitik und dem zugrunde liegenden Energiesystem auch in Gesetzen sichtbar zu machen. Ein Energierahmengesetz würde ein Treibhausgas-Budget festlegen samt dem damit verbundenen laufenden Reporting über dessen Verwendung. Ausführungsgesetze, wie ein Energieausbaugesetz, würden alle Investitionen für einen Übergang zu einem hocheffizienten und treibhausgasneutralen Energiesystem unterstützen.
Quellen zu den Abbildungen:
Abb. 1:
Das Treibhausgas-Budget für Österreich, Wegener Center. Oktober 2017
Abb. 2:
Welche Zukunft für Energie und Klima? Folgenabschätzungen für Energie- und Klimastrategien.
Weiterführende Links:
Welche Zukunft für Energie und Klima? Folgenabschätzungen für Energie- und Klimastrategien.
Dekarbonisierung und Carbon Management für Österreich. Diskussionsbeiträge für Strategien.
Downloads von der Website des Wegener Centers
Downloads von der Website von Stefan Schleicher
Der Autor
Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität Graz und Konsulent am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Er begleitet seit Jahren die österreichische und internationale Energie- und Klimapolitik. Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit sind zukunftsfähige Wirtschaftsstrukturen, vor allem in den Bereichen Energie und Klima aber auch im Kontext der sich entfaltenden disruptiven Entwicklungen.
