Nur vier Mitgliedstaaten haben bisher Kandidatinnen nach Brüssel gemeldet– zehn hingegen Männer. Das Versprechen der neuen Präsidentin, in ihrer Equipe Geschlechtergleichheit zu schaffen, wird angesichts der politischen Realitäten kaum zu erfüllen sein.
Brüssel. Also sprach Ursula von der Leyen diesen Dienstag in Straßburg in ihrer Bewerbungsrede an die Europaabgeordneten: „Ich werde volle Geschlechtergleichheit in meinem Kollegium der Kommissare sicherstellen. Wenn die Mitgliedstaaten nicht genügend viele Kommissarinnen vorschlagen, werde ich nicht zögern, neue Namen zu verlangen.“
Doch diese starken Worte dürften in den nationalen Regierungskanzleien ungehört verhallt sein. In den drei Tagen seit von der Leyens Appell nominierten mehrere von ihnen Kandidaten für die neue Kommission: Kein einziger davon war eine Frau. Am Donnerstag wurden gleich drei Männer der designierten Kommissionspräsidentin präsentiert: Österreichs bisheriger Kommissar, Johannes Hahn, ebenso wie Sloweniens Botschafter bei der EU, Janez Lenarčič, sowie der Grieche Margaritis Schinas, der bisher Pressesprecher des scheidenden Präsidenten Jean-Claude Juncker war.
Am späten Freitagnachmittag waren somit nur vier Frauen als Kandidatinnen für von der Leyens Team gemeldet: außer der künftigen Vizepräsidentin, Margrethe Vestager (Dänemark), waren dies Jutta Urpilainen (Finnland), Kadri Simson (Estland) sowie Mariya Gabriel (Bulgarien). Dazu käme als fünfte logischerweise von der Leyen selbst. Demgegenüber stehen jedoch bereits zehn nominierte Männer: Neben den erwähnten Hahn, Lenarčič und Schinas sind dies Frans Timmermans (Niederlande), Josep Borrell (Spanien), Valdis Dombrovskis (Lettland), Nicolas Schmit (Luxemburg), László Trócsányi (Ungarn), Maroš Šefčovič (Slowakei), Phil Hogan (Irland).
Neun Frauen fehlen
Um vom Verhältnis 5:10 auf 14:14 zu kommen, braucht von der Leyen folglich neun weitere Frauen. Nur eine scheint derzeit so gut wie sicher zu sein: Die bisherige tschechische Kommissarin für Justiz, Věra Jourová, hat gute Chancen, für weitere fünf Jahre in Brüssel zu bleiben. Darüber hinaus jedoch sieht es nicht sehr gut aus für die Erfüllung des Gelöbnisses von Geschlechtergleichheit. Denn mindestens drei weitere Posten werden ziemlich sicher ebenfalls mit Männern besetzt werden: Aus Portugal soll der sozialistische Europaabgeordnete Pedro Marques kommen, in Frankreich wiederum werden dem gerade erst gewählten Europamandatar Pascal Canfin, der früher WWF-Frankreich-Präsident war, die besten Aussichten zugeschrieben. Das Vereinigte Königreich wiederum, welches zum 31. Oktober mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aus der EU wird austreten können, dürfte seinen bisherigen Kommissar, Julian King, erneut nach Brüssel schicken.
Von der Leyen hat bereits vor Tagen erklärt, sie beharre darauf, dass die Mitgliedstaaten ihr je einen Mann und eine Frau vorschlagen. Ob sie das getan hat, ist unbekannt. Falls ja, wurde es offenkundig bisher ignoriert. Aus ihrem Umkreis wird nun jene Taktik lanciert, die bereits Juncker vor fünf Jahren angewendet hat, um mehr Kommissarinnen zu bekommen: Wer eine Frau nominiert, könne damit rechnen, dass seine Wünsche bezüglich des Portfolios eher Gehör finden als im Fall eines Mannes.
Hahn wird nicht ersetzt werden
Ob das fruchtet, wird sich weisen. Ziemlich unwahrscheinlich ist es doch, dass von der Leyen bereits nominierte Männer ablehnt. Denn hinter jeder dieser Entscheidungen steht ein innenpolitisches Abkommen, das sich nicht per Zuruf aus Brüssel über den Haufen werfen lässt. Man kann das am österreichischen Beispiel veranschaulichen: Auf Hahn einigten sich alle Parteien im Nationalrat. Sollte von der Leyen ihn ablehnen, müssten die Parteien während der Sommerferien erstens eine Frau finden und zweitens diese im Hauptausschuss des Nationalrates bestätigen. Doch je näher die Nationalratswahl am 29. September rückt, desto geringer wird die Bereitschaft der wahlkämpfenden Parteien sein, einen solchen Konsens zu erzielen.
Und so muss von der Leyen sich mit der Perspektive vertraut machen, gleich ihr erstes großes Ziel als Kommissionspräsidentin zu verfehlen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2019)