Auf den Spuren des Rechnitzer Massakers

Spuren Rechnitzer Massakers
Spuren Rechnitzer Massakers(c) Clemens Fabry
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Wie Schüler das Stück erleben – und den heiklen Umgang mit dem NS- Verbrechen am eigenen Leib erfahren.

Um eine festliche Tafel haben sich junge Leute versammelt, sie tragen Anzüge und Abendkleider, trinken, lachen, amüsieren sich, scharen sich um die strahlende Gastgeberin, die eine Pelzstola trägt und mit ihrem Geliebten flirtet. Die jungen Menschen sind Schüler, und sie haben sich zurechtgemacht – um sich hineinzuversetzen in eine andere Menschengruppe, die vor 65 Jahren ähnlich feierte, in einem Schloss im Burgenland. Die zwischendurch aufstand, nach draußen ging und 180 jüdische Zwangsarbeiter erschoss. Um danach ausgelassen weiterzutanzen.

Das Massaker von Rechnitz, begangen in der Nacht vom 24. auf den 25.März 1945, im Rahmen eines Gefolgschaftsfests der Gräfin Margit Batthyány-Thyssen für SS-Offiziere, Gestapo-Leute und einheimische Nazis, im Angesicht der nur Tage entfernten Roten Armee – es ist ein Synonym für Schweigen, für Nichtaufarbeitung. Bis heute hat man das Grab nicht gefunden. Elfriede Jelinek hat daraus ein Schauspiel gemacht, genauer gesagt, einen Wortschwall. Wie geht man daran heran, an ein Stück ohne Figuren oder Handlung, an das sich selbst Regisseur Jossi Wieler mühsam nähertasten musste?

Am besten sinnlich, meint Frank Röpke. Im Rahmen des Festwochen-Programms „jugendFREI“ führt der Theaterpädagoge eine Klasse von 16-, 17-Jährigen an das Stück heran, das gestern Premiere hatte. Ausnahmsweise, wohlgemerkt, denn Jelinek hat die Aufführung von „Rechnitz (Der Würgeengel)“ für Österreich eigentlich untersagt. Aus Angst vor Skandalisierung.

Die Schüler des Lycée Français also haben die Textseiten erst einmal ausgedruckt und aneinandergeklebt. Und sich dann darin eingewickelt und daruntergelegt: ein Text, hinter dem man sich verstecken kann. Ein Text, der einen begräbt. Daneben haben Röpke und seine Kollegin Katharina Kolar einen zweiten Zugang gewählt: den Weg über das historische Ereignis. Das Massaker.

Die Schüler sahen „Totschweigen“, die Dokumentation über die vergebliche Suche nach den Gräbern, und waren schockiert. Dann riefen sie selbst bei Rechnitzern an. Als die Einwohner erfuhren, worum es ging, wollte, bis auf den Bürgermeister, niemand mit ihnen sprechen. Mission accomplished, Theorie bestätigt: Hier wird wirklich etwas verschwiegen.

Dann, langsam, kamen Zweifel auf. Ist jemand, der einem Fremden am Telefon nicht antworten möchte, wirklich schon ein „Totschweiger“? Hätte man vielleicht selbst so reagiert? Und schon findet man sich unversehens im Thema wieder. Muss man verstehen, wenn die heutigen Rechnitzer nicht von neugierigen Jugendlichen befragt werden wollen? Oder ist Verständnis für Befindlichkeiten bereits Teil des Mechanismus, der schon bisher eine vollständige Klärung der Geschehnisse verhindert hat? Jener Mechanismus, den Sacha Batthyány, der Großneffe der Gräfin, meint, wenn er beschreibt, wie in seiner Familie „Tante Margit“ aus Höflichkeit nie zu den Ereignissen befragt wurde?


Laborratten. Auch die Diskussion auf dem Online-Blog der Schüler wird schnell symptomatisch. David Litchfield schaltet sich ein, er ist der Autor des Buchs „The Thyssen Art Macabre“. Litchfield meint, die Rechnitzer, die entgegen vieler Darstellungen durchaus schon einiges zu Protokoll gegeben hätten, müssten sich mittlerweile „wie Laborratten“ fühlen. Und schlägt vor, sich stattdessen auf die Thyssen-Familie zu konzentrieren. Manche ermutigen die Schüler zu recherchieren: Zu vieles sei noch ungeklärt. Und dann gibt es den Poster, der die Beschäftigung der Schüler mit Rechnitz für eine „Unverschämtheit“ hält. „Was bei denen im Dorf passiert ist“, das sei allein deren Sache. Und ein anderer fragt: „Was geht euch die alte Geschichte an?“

Sie geht die Jungen etwas an. Und aus der Beschäftigung damit, glaubt Röpke, entstehe auch „der Wunsch zu sehen, was die Autorin aus dem Stück gemacht hat“. Am Montag werden sie es sehen. Und im September wollen sie nach Rechnitz fahren. Unbedingt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2010)

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