Berlin unter Schock: Präsident Köhler tritt zurück

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Die Demission Horst Köhlers ist eine weitere persönliche Niederlage für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Anlass für den Rücktritt waren umstrittene Aussagen Köhlers zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Berlin. Deutschland braucht binnen 30 Tagen einen neuen Bundespräsidenten. Wie eine Bombe schlug am Montag der überraschende und sofortige Rücktritt von Horst Köhler (CDU) im politischen Berlin ein, wo das schwarz-gelbe Kabinett gerade erst den letzte Woche angekündigten Rückzug des hessischen Ministerpräsidenten und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Roland Koch verdaut. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), deren Regierung durch diesen Schlag weiter geschwächt wird, sagte ihren Besuch bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im WM-Quartier in Südtirol kurzfristig ab. Sowohl Merkel als auch Vizekanzler und Außenminister Guido Westerwelle (FDP), die sofort ein Krisentreffen abhielten, hatten vergeblich versucht, Köhler umzustimmen.

Anlass für den Rücktritt – nach Heinrich Lübke der zweite eines deutschen Bundespräsidenten – waren umstrittene Aussagen Köhlers zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr in einem Radiointerview. Auf der Rückreise von einem Kurzbesuch bei Bundeswehrsoldaten in Afghanistan hatte der Bundespräsident im Deutschlandradio erklärt, im Notfall sei auch „militärischer Einsatz notwendig..., um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege“.

Debatte um Bundeswehreinsätze

Die Begründung der Afghanistan-Mission, auf die das Zitat bezogen wurde, mit wirtschaftlichen Interessen löste in Berlin Irritationen aus und empörte die Opposition. Die SPD wandte sich gegen „Wirtschaftskriege“, die Grünen sprachen von „Kanonenbootspolitik“. Auch der Vorwurf, Köhler stelle sich außerhalb des Grundgesetzes, wurde laut. Umgehend stellte das Präsidialamt klar, dass Köhler sich nicht auf den Afghanistan-Einsatz bezogen habe, sondern etwa auf Anti-Piraterie-Missionen. Die Debatte über das Interview vom Pfingstsamstag war erst Ende vergangener Woche losgebrochen, im Trubel um Oslo-Star Lena Meyer-Landrut aber eher untergegangen.

Umso größer das Erstaunen, als Köhler Montag am frühen Nachmittag in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz im Schloss Bellevue seinen Rücktritt bekannt gab. Mit brüchiger Stimme, Tränen in den Augen und Ehefrau Eva Luise an seiner Seite. Er bedauerte die Missverständnisse, zu denen seine Äußerungen geführt hätten; die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Bundeswehreinsatz zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jedoch jeder Rechtfertigung und lasse „den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen“.

Für Nils Diederich, Politologe der Freien Universität Berlin, war es „die richtige Entscheidung. Der Bundespräsident als Vertreter aller Bürger muss über der Kritik stehen. Wenn er so heftig attackiert wird, tut er gut daran, zurückzutreten, um seine eigene Würde zu bewahren“. Köhler habe die Konsequenzen aus dem mangelnden Rückhalt in seiner eigenen Anhängerschaft gezogen.

„Zum Abschuss freigegeben“

„Sein Rücktritt ist ein Prestigeverlust für die Regierung und eine große Niederlage auch für die Bundeskanzlerin, die mit dafür gestimmt hat, Köhler zu installieren.“ Merkel habe es verabsäumt, sich bei ungeschickten Äußerungen des Bundespräsidenten hinter ihn zu stellen und ihn quasi zum Abschuss freigegeben. „Die Zweifel an ihren Führungsfähigkeiten wachsen schnell.“

Köhler war erst vor einem Jahr wiedergewählt und in seiner bisherigen zweiten Amtszeit vielfach wegen mangelnder Präsenz kritisiert worden. Als Merkel und Westerwelle ihn 2004 als Kandidaten für das Bundespräsidentenamt nominiert hatten, spekulierten sie auf eine schwarz-gelbe Koalition nach der Bundestagswahl 2005, was damals nicht aufging.

FAHRPLAN

Spätestens am 30.Juni muss die Bundesversammlung aus Vertretern des Bundestags und der Länder zusammentreten, um einen Nachfolger für Horst Köhler zu wählen. Mögliche Kandidaten: Finanzminister Wolfgang Schäuble, Jürgen Rüttgers (NRW), Bundestagspräsident Norbert Lammert. Die SPD brachte Margot Käßmann ins Gespräch. Auch Gesine Schwan wäre möglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2010)

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