Für Österreich ist eine Demission ein Exotikum. Man kann es aber auch übertreiben, wie Horst Köhler zeigt.
In Deutschland ist das Rücktrittsvirus ausgebrochen. Innerhalb weniger Wochen zog sich ein Spitzenrepräsentant nach dem anderen aus dem öffentlichen Leben zurück. Erst legte Margot Käßmann ihr Amt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche zurück. Sie war mit 1,54 Promille Alkohol im Blut am Steuer erwischt worden und fand, das sei mit der Würde ihres Amtes nicht vereinbar. Ihre rasche und brillant formulierte Demission nötigte Respekt ab; „Der Spiegel“ ehrte sie nachträglich mit einer Titelgeschichte. Als weniger achtbar empfand die Republik den Abgang des katholischen Bischofs Walter Mixa. Er hatte sich wochenlang gegen Vorwürfe gewehrt, dass er Buben geschlagen hätte. Schließlich musste der Kirchenfürst gehen, weil es nicht mehr anders ging.
Vergangene Woche suchte Hessens Ministerpräsident Roland Koch das Weite. Politik sei nicht sein Leben, sagte die Galionsfigur der Konservativen in der CDU. Ganz wollte ihm das niemand abkaufen. Die gängige Interpretation in Deutschlands Schreibstuben lautete: Hier nimmt ein Enttäuschter den Hut, dem erst das Bundeskanzleramt und dann der Job des Bundesfinanzministers vorenthalten blieb. Es ist schon erstaunlich, warum sich ein Politiker nur ein paar Monate nach seiner Wahl aus freien Stücken vertschüsst. Das hätte er dem Wähler auch vorher verraten können. Aber bitte, auch Politiker haben das Recht, frei über ihr Leben zu entscheiden.
Als Österreicher blickte man jedenfalls am vergangenen Dienstag noch neidvoll über die Grenze und bewunderte die dortige Rücktrittskultur. Denn zwischen Wien und Bregenz kleben Politiker üblicherweise derartig hartnäckig auf ihren Sesseln, dass man sich wundert, dass sie überhaupt noch aufrecht gehen können. Skandale werden in Österreich aus Prinzip ausgesessen. Die Westen bleiben auch noch im tiefsten Sumpf „superweiß“. Und sagen darf sowieso jeder Politiker, was er will, ohne Rücksicht auf Grenzen des Anstands und des guten Geschmacks.
In Deutschland läuft das, wie gesagt, anders. Am Montag jedoch wurde die Rücktrittskultur um eine exzentrische Facette bereichert. Ausgerechnet das Staatsoberhaupt beging Harakiri auf offener Bühne. Es war der sinnloseste Rücktritt der jüngeren Vergangenheit. Bundespräsident Horst Köhler stürmte vom Staatsschiff, weil er die Kritik an einem Interview nicht ertrug. In einer obskuren Äußerung in einem Kulturradiosender hatte er darüber gefaselt, dass auch Deutschland seine Handelswege notfalls militärisch verteidigen müsse. Die missverständliche Äußerung war vermutlich gar nicht auf Afghanistan, sondern auf den Kampf gegen Piraten vor Somalia bezogen. Dennoch war die Aufregung groß; freilich erst, nachdem Blogger die Auslassung ausgegraben hatten.
Seinen Rücktritt begründete Köhler dann damit, dass er den Respekt vor seinem Amt vermisse. Dieser Vorwurf fällt natürlich zurück auf jemanden, der sein Amt hinschmeißt wie einen leeren Joghurtbecher. Der Bundespräsident zeigte, dass es auch möglich ist, verantwortungslos zurückzutreten. Weder nahm er Rücksicht darauf, dass sich Deutschland inmitten einer schweren Krise befindet, noch informierte er die Bundesregierung rechtzeitig.
Das ist illoyal gegenüber CDU-Bundeskanzlerin Merkel, die ihn ins Amt gehoben hat. Es zeigt aber auch, wie wenig es Merkel versteht, ihre Leute bei der Stange zu halten. Erst vertrieb sie Fraktionschef Friedrich Merz, dann vermutlich auch Roland Koch. Und schließlich fühlte sich offenbar auch Horst Köhler von ihr im Stich gelassen. Der Präsident bekam jedenfalls keine Rückendeckung aus der CDU, als er in der Kritik stand. Eine Revanche für seine Schelte der schwarz-gelben Koalition.
Es heißt nun, Köhler sei zu dünnhäutig für die Politik gewesen. Das wird so sein. Andererseits muss man sich fragen, ob eine Gesellschaft von Menschen regiert werden will, die sich eine so dicke Haut zugelegt haben, dass sie gar nichts mehr spüren: weder ihre eigenen Empfindungen noch die anderer. Wenn Journalisten ihre Kritik allzu persönlich und gehässig anbringen, tragen sie zu einem Klima bei, das eine Politikerschar gefühlloser Elefanten erzeugt. Am Ende begibt sich kein vernünftiger, zur Empathie fähiger Mensch mehr freiwillig in eine Arena, in der Hetzjagden die bevorzugte Methode der Auseinandersetzung ist.
Das ist ein prinzipielles Problem des Umgangs. Köhler jedoch exemplifiziert es nicht wirklich. Ihm war es einfach nur zu heiß in der politischen Küche, er hätte spätestens nach der ersten Amtszeit mit dem Kochen aufhören sollen.
christian.ultsch@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2010)