Köhler-Nachfolge: Angela Merkel unter Zugzwang

Angela Merkel unter Zugzwang
Angela Merkel unter Zugzwang(c) EPA (WOLFGANG KUMM)
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Am 30. Juni wird ein neuer Bundespräsident gewählt. Für die deutsche Bundeskanzlerin kam der Rücktritt Horst Köhlers zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Ihr schwimmen immer mehr die Felle davon.

Berlin. Der Termin für das Spitzentreffen war schon lange fixiert, auf der Agenda stand die Feinabstimmung für die Budgetklausur am kommenden Wochenende. Aber die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Guido Westerwelle (FDP) und Horst Seehofer (CSU) hatten Dienstagfrüh ein noch drängenderes Problem anzugehen: Sie müssen binnen kürzester Zeit einen Kandidaten für die Nachfolge von Bundespräsident Horst Köhler (CDU) aus dem Hut zaubern, dessen beleidigter Abgang die schwarz-gelbe Regierung in eine schwere Krise gestürzt hat.

Serie von Pannen

Als ob sie nicht schon längst in einer Krise wäre, die bereits zum gefühlten Dauerzustand geworden ist: zuerst der holprige Start, ständige Koalitionsstreitigkeiten, die Afghanistan-Affäre, die zum Rücktritt des Verteidigungsministers führte, der Absturz in Nordrhein-Westfalen, der Verlust der Bundesratsmehrheit, der angekündigte Rückzug des hessischen Ministerpräsidenten und CDU-Vizevorsitzenden Roland Koch. Für Merkel könnte der Zeitpunkt nicht ungünstiger sein, mitten in der Eurokrise, angesichts massiver Sparzwänge und personeller Herausforderungen in Nordrhein-Westfalen und Hessen.

Die Bundeskanzlerin steht nun unter gewaltigem Druck, nicht nur zeitlich. Immer mehr verstärkt sich auch in der Bevölkerung der Eindruck, dass Merkel die guten, eigenständigen Köpfe ziehen lässt: nach Merz und Koch nun auch Köhler. Dass der die Kanzlerin erst ganz kurz vor seiner Rücktrittserklärung über seine Absichten informierte, war ein klarer Affront. Zunehmend stellen wichtige Leute in der Union Merkels Loyalität infrage, die Zweifel an ihren Führungsqualitäten wachsen rapide.

Heilsamer Schock?

In Berlin sieht man bereits die „Schicksalstage“ der Bundeskanzlerin angebrochen. Sie müsste nun gerade das tun, was sie bisher vermieden hat: kraftvoll regieren und zügig entscheiden. In der Großen Koalition hat sie erfolgreich als Moderatorin agiert, aber die Taktik des unaufgeregten Abwartens funktioniert nicht mehr. Ist Merkel das politische Gespür abhandengekommen, fragen die Kommentatoren und implizieren, dass genau das der Fall ist.

Die kommenden Wochen werden für Schwarz-Gelb entscheidend sein. Der Abgang Köhlers könnte dabei aber auch als heilsamer Schock wirken. Wenn es gelingt, mit der Kür eines neuen Bundespräsidenten einen politischen Akzent zu setzen, könnte Merkel noch einmal durchstarten, eventuell in Kombination mit einer Kabinettsumbildung. Die Auswahl eines neuen Kandidaten für das höchste Amt im Staat hat jedenfalls Symbolkraft.

Merkel ist auf der Suche nach einem Köhler-Nachfolger, der auch von den Oppositionsparteien mitgetragen wird – ein Kandidat, der „eine Chance hat, von allen akzeptiert zu werden“, wie sie sagt. Die Koalitionsparteien wollen sich nun möglichst schnell auf einen Personalvorschlag einigen und dann auf die Oppositionsparteien zugehen. Wenn es keinen parteiübergreifenden Konsenskandidaten gibt und Schwarz-Gelb einen eigenen Bewerber ins Rennen schickt, will die SPD selbst einen Kandidaten aufstellen.

Schwarz-gelbe Mehrheit

Während die Köpfe rauchen und über mögliche Nachfolger heftig spekuliert wird, hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bereits für den 30. Juni die Bundesversammlung zur Wahl des neuen Präsidenten einberufen. Damit wird die mögliche Frist voll ausgeschöpft. Die Bundesversammlung hat mehr als 1000 Mitglieder: Die Hälfte sind die Bundestagsabgeordneten, die andere Hälfte wird von den Landtagen erst gewählt. Nach ersten Berechnungen verfügen Union und FDP über 647 der 1244 Sitze.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2010)

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