Israel lässt alle Gaza-Aktivisten frei

Israel laesst alle GazaAktivisten
Israel laesst alle GazaAktivisten(c) EPA (JAMAL NASRALLAH)
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Die meisten der festgenommenen Teilnehmer der Gaza-Hilfsflotte wurden bereits abgeschoben. Berichten zufolge wollten einige Aktivisten zu Märtyrern werden. Mit Video.

Zwei Tage nach der blutigen Erstürmung der Gaza-Hilfsflotte durch die israelische Armee hat Israel die große Mehrheit der festgenommenen Ausländer abgeschoben. 449 Aktivisten seien auf dem Weg in ihre Heimatländer, sagte Außenamtssprecher Jigal Palmor. 186 weitere aus mehr als 35 Ländern stammenden Aktivisten sollten in den kommenden Stunden folgen. Die meisten Freigelassenen seien Türken. Die zuvor geplanten Anklagen wird es nach offiziellen Angaben nicht geben.

Israelische Sicherheitskräfte hatten eine erste Gruppe mit Ausländern - etwa 200 der insgesamt 682 Inhaftierten - am frühen Mittwoch mit Bussen zum internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv gebracht. Weitere etwa 120 Aktivisten sind nach Angaben des Sprechers zur Allenby-Brücke, dem Grenzübergang zu Jordanien, begleitet worden.

Die israelische Regierung hatte unter massivem internationalen Druck am Montagabend angekündigt, dass die inhaftierten Aktivisten des internationalen Gaza-Hilfskonvois umgehend freigelassen würden. Mehr als 600 Personen waren im Ela-Gefängnis von Beersheva in der Negev-Wüste festgehalten worden.

"Israelis waren brutal und arrogant"

Eine israelische Sprecherin der Gefängnisbehörde betonte, alle Häftlinge seien gut behandelt worden. Sie hätten Wasser und Lebensmittel sowie saubere Kleidung erhalten. "Sie wurden von Diplomaten, Rotkreuz- Mitarbeitern und Rechtsanwälten besucht", sagte sie. Einige hätten sich sogar für die gute Behandlung bedankt.Zuvor hatten sich mehrere der nach Jordanien abgeschobenen Aktivisten gegenüber der Nachrichtenagentur AP über die Haftbedingungen beschwert.

Sie hätten während der Haft nicht ausreichend Lebensmittel und Wasser erhalten und keinen Zugang zu Toiletten gehabt. Der kuwaitische Abgeordnete Walid al Tabtabei, der an Bord eines Schiffes war, sagte, die Israelis hätten Männer, Frauen und Kinder gedemütigt. "Sie waren brutal und arrogant", erklärte er. Die Passagiere an Bord der Schiffe hätten keine einzige Waffe gehabt.

Nach israelischer Darstellung wurden die Soldaten beim Entern der Schiffe angegriffen. Die Armee veröffentlichte Videos, die zeigen, wie einzelne Soldaten von Aktivisten mit Stöcken attackiert wurden. Das israelische Militär räumte am Dienstag aber ein, dass es bei der Aktion Fehler gegeben hätte. "Es ist klar, dass die Ausrüstung zum Auseinandertreiben der Menge mangelhaft war", sagte der Chef der Streitkräfte, Gabi Ashkenazi. Leitende Marine-Soldaten deuteten ein Versagen der Nachrichtendienste an. Man habe einen solchen Widerstand der Aktivisten nicht erwartet.

Armeevideo von der Aktion

Armee-Videomaterial von der Erstürmung des Schiffs. Einblendungen und Markierungen wurden von der israelischen Armee erstellt.

Weiteres Schiff bleibt auf Kurs

Ungeachtet der israelischen Militäraktion bleibt das letzte Schiff der Hilfsflotte auf seinem Kurs. "Wir sind entschlossener denn je, unsere Mission fortzusetzen", sagte ein Besatzungsmitglied der "MV Rachel Corrie", Derek Graham, am Mittwoch dem irischen Sender RTE. Er rechne damit, dass das Schiff am Freitagabend oder Samstagmorgen die Stelle erreichen werde, an der am Montag das israelische Militär den internationalen Konvoi aufgebracht hatte.

Die Ladung eines der Schiffe der Hilfsflotte wurde unterdessen auf dem Landweg in den Gazastreifen transportiert. Es habe sich vor allem um Medikamente, Rollstühle und Lebensmittel gehandelt, sagte ein israelischer Armeesprecher am Dienstag. Bis Donnerstag soll die gesamte Ladung der Schiffe gelöscht und in das Palästinensergebiet transportiert werden.

Deutsche: "Zeugen eines barbarischen Aktes"

Fünf deutsche Teilnehmer der Hilfsaktion, darunter die beiden Bundestagsabgeordneten der Linken, Annette Groth und Inge Höger, landeten am Dienstagvormittag in Berlin. Sie erhoben schwere Vorwürfe gegen Israel. Sie seien Zeugen eines "barbarischen Aktes" geworden, sagte Groth. Fünf Deutsche befinden sich noch in Haft, ein deutscher Aktivist soll sich in einem Krankenhaus in der Nähe von Tel Aviv befinden.

Der schwedische Bestseller-Autor Henning Mankell, der sich offenbar bereits in seiner Heimat befindet, sprach sich für internationale Sanktionen gegen Israel aus. "Ich denke, wir sollten unsere Erfahrungen im Fall Südafrikas nutzen. Wir wissen, dass Sanktionen dort eine große Wirkung entfalteten. Es dauerte seine Zeit, aber es funktionierte", sagte Mankell in einem Interview mit der Boulevard-Zeitung "Expressen".

UNO verurteilt Militäraktion

Der UNO-Sicherheitsrat erklärte nach zehnstündigen Beratungen am Dienstag in New York, es verurteile die Handlungen, die zum Tod von Zivilisten geführt hätten. Zugleich forderte der Rat die sofortige Freigabe der von Israel aufgebrachten Schiffe und die Freilassung festgenommener Zivilpersonen und verlangte eine sofortige, unparteiische, glaubwürdige und transparente Untersuchung des Zwischenfalls.

Bei der Dringlichkeitssitzung wurde Israel scharf kritisiert. Die Türkei, unter deren Flagge das gestürmte Schiff fuhr, bezeichnete den Einsatz als "Banditentum und Piraterie" und "staatlich begangenen Mord". Die israelische Führung mache sich für ein "blutiges Massaker" verantwortlich. Die USA erklärten sich "tief besorgt" über die Entwicklung, übten aber auch Zweifel an dem Vorgehen der Aktivisten.

Scharfe Kritik gab es auch von israelischen Zeitungen. In der Presse war am Dienstag von einem Fiasko und Schlamassel die Rede. Ein Kommentator forderte den Rücktritt von Verteidigungsminister Ehud Barak. In mehreren Ländern, darunter auch in Österreich, protestierten pro-palästinensische Aktivisten gegen das Vorgehen Israels.

Tote noch nicht identifiziert

Bei der Erstürmung der Flotte waren nach israelischen Angaben neun Menschen getötet worden. Nach Angaben von Außenamtssprecher Jigal Palmot hat Israel Schwierigkeiten, sie zu identifizieren. Augenzeugen und Aktivisten seien nicht bereit gewesen zu helfen, sagte Palmor am Dienstag in Jerusalem. Insgesamt waren rund 700 Aktivisten an Bord der sechs Schiffe der Flotte. Die Organisatoren von "Free Gaza" wollten mit den Schiffen trotz der israelische Blockade Güter in den Gazastreifen bringen, der von der radikal-islamischen Hamas kontrolliert wird.

Mindestens drei der vier Türken, die bei der israelischen Kommandoaktion getötet wurden, wollten laut Presseberichten zu "Märtyrern" werden. Alle vier türkischen Todesopfer der Aktion stammten aus islamistischen Kreisen, berichteten mehrere Zeitungen am Mittwoch. Drei der frommen Muslime sagten demnach vor der Abfahrt des Schiffskonvois zu Verwandten oder Freunden, sie wollten als "Märtyrer" sterben.

Demo am Freitag in Wien

In Wien haben islamische bzw. pro-palästinensische Organisationen zu einer Großdemonstration am Freitag (4. Juni) ab 15 Uhr mit Start vor der Wiener Oper aufgerufen. Bereits am gestrigen Dienstag hatten in Wien nach Polizeiangaben rund 600 Demonstranten gegen das israelische Vorgehen protestiert.

"Free Gaza"

Die internationale Organisation "Free Gaza" will nach eigenen Angaben mit Hilfsgütern die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens unterstützen. Solidaritätsfahrten von Schiffen sollen auch öffentlichkeitswirksam auf die Blockade des Gebiets durch Israel hinweisen. Mehrfach wurden Konvois mit Dutzenden bis Hunderten Aktivisten an Bord und prominenten Unterstützern organisiert.

(Ag./Red.)

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