Vom richtigen Maß an Dickhäutigkeit

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Wie Politiker mit Kritik umgehen, und warum sie bei uns selten zurücktreten.

Was Horst Köhler gesagt hat, war ein ziemlicher Hammer“, findet Josef Kalina. Auf Deutschlands Großmachtrolle anzuspielen sei jedoch das gute Recht eines Politikers. „Aber wer so etwas lanciert, der muss wissen, was er damit auslöst.“

Kalina diente zwei Kanzlern. Dass Viktor Klima harmoniebedürftiger und Alfred Gusenbauer dickhäutiger war, bestätigt er. Wobei Dickhäutigkeit durchaus von Vorteil sei. „Man muss allerdings immer die Folgen von dem mitbedenken, was man sagt und tut.“ Gusenbauer habe das in weit geringerem Ausmaß als Klima getan, es sei ihm nicht wichtig gewesen. „So überlebt man politisch nicht lange, wie man gesehen hat.“

Er selbst habe als Bundesgeschäftsführer Kritik einfach aushalten müssen, erinnert sich Kalina. Das sei in einem Job an der Front systemimmanent. „Und es ist auch kein Problem, wenn man die Rückendeckung des Parteichefs hat.“ Bei Klima sei dies uneingeschränkt der Fall gewesen. Bei Gusenbauer großteils auch, bis dann am Schluss „die Wende von heute auf morgen kam“. Vielleicht habe er ihm damals zu oft gesagt, wie die Parteibasis denke.

Köhler habe offenbar mehr Unterstützung erwartet, glaubt Heidi Glück, frühere Sprecherin von Wolfgang Schüssel. Ohne bedingungslose Rückendeckung von zumindest drei bis vier engen Vertrauten sei der Politikjob kaum durchzustehen. Schüssel hatte dafür Wilhelm Molterer, Andreas Khol und Elisabeth Gehrer.

Der jetzige Kanzler Werner Faymann kann sich auf Staatssekretär Josef Ostermayer und Wiens AK-Chef Werner Muhm verlassen. Quereinsteigern – wie Andrea Kdolsky oder Claudia Schmied – fehlt so ein parteiinternes Netzwerk oft. Kdolsky reichte es daher auch nach knapp zwei Jahren.

Anderen, wie Johannes Ditz als Wirtschaftsminister und Ernst Strasser als Innenminister, war die Hausmacht im Laufe der Jahre abhandengekommen – sie traten zurück. Wie auch Susanne Riess-Passer. Ebenfalls wegen Jörg Haider trat Gabi Schaunig als Kärntner SPÖ-Chefin ab.

Ebendieser Jörg Haider brachte es zu wahrer Meisterschaft im (Teilzeit-)Rücktritt. Als er nach der „Wende“ 2000 in einem Wiener Italo-Restaurant von Demonstranten belagert wurde, gab er die Führung der FPÖ ab. Vor der Nationalratswahl 2002 fühlte sich der designierte FPÖ-Spitzenkandidat dann von Unbekannten in Sachen Eurofighter bedroht und verzichtete. Bei Haiders „Ich bin schon weg“-Rücktritten steckte aber stets auch Kalkül dahinter.

Einen Mangel an politischem Rüstzeug attestiert Politikberater Thomas Hofer dem zurückgetretenen Horst Köhler. „Ein gelernter Politiker, ein gestandener Profi knickt nicht so leicht ein.“ Anderseits gebe es hierzulande wiederum einen ausgeprägten Mangel an Rücktrittskultur. An wen Hofer da im Konkreten denkt? „An ehesten an den bereits verurteilten Peter Westenthaler.“ Aber auch an zwei prominente Alko-Lenker: den Zweiten Landtagspräsidenten Tirols, Hannes Bodner, und den Wiener Dompfarrer Toni Faber. Oder einfach an Wahlverlierer wie Vorarlbergs SPÖ-Chef Michael Ritsch. Reinhart Rohr oder Erich Haider, die erfolglosen SPÖ-Chefs von Kärnten und Oberösterreich, sind aber immerhin Geschichte.

Katholiken versus Protestanten

Auffällig sei jedenfalls, so Hofer, dass in katholischen Ländern wie Österreich die Bereitschaft (sich selbst) zu verzeihen größer sei und die Hemmschwelle zurückzutreten daher wesentlich höher angesetzt werde als in protestantischen Ländern wie in den USA, Skandinavien und Deutschland.

Honiglecken ist der Politikjob allerdings weder hier noch dort: „Ein Politiker steht 24 Stunden am Tag im Schaufenster, muss jedes Wort auf die Goldwaage legen“, sagt Glück. „Ein enormer Stress.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2010)

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