Die Vorgängerin von Boris Johnson wurde wegen ihres Brexit-Kompromisses geschasst. Ihr Nachfolger wird für denselben Kompromiss gefeiert.
Die Feststellung, Theresa May sei keine begnadete Politikerin, ist weder neu noch überraschend. Das Bad in der Menge liegt ihr ebenso wenig wie das biergeschwängerte Stammtischgespräch im Pub ums Eck. Was May während ihrer Amtszeit als Premierministerin Großbritanniens an Lockerheit fehlte, machte sie allerdings mit Sturheit und Monomanie mehr als wett. Nichts brachte diese unflexible Geisteshaltung besser auf den Punkt als die gebetsmühlenartig wiederholte Tautologie „Brexit means Brexit“, mit der die Regierungschefin versucht hatte, sowohl die Gegner des Abschieds von Europa als auch die Befürworter eines knüppelharten EU-Austritts zu hypnotisieren.
In der Downing Street 10 verschanzt, von parteiinternen Rivalen belauert und von Westentaschen-Machiavellis beraten, brach May im Frühjahr 2017 eine Unterhauswahl vom Zaun, nur um ihre Parlamentsmehrheit zu verjuxen – und dieses Kunststück gelang ihr gegen den unreformierten Sozialisten Jeremy Corbyn. Mit ihrem allseits ungeliebten EU-Austrittsvertrag, den sie den Abgeordneten Anfang 2019 verschämt zur Abstimmung vorlegte, erlitt die Premierministerin die bis dato größte Niederlage einer Regierung in der Geschichte des britischen Parlamentarismus. Selbst als die glücklose Tory-Chefin ihren Parteikollegen den Rücktritt versprach, verweigerten ihr Dutzende Abgeordnete die Zustimmung zum Brexit-Deal. Umfassender als Theresa May kann man in der Politik wohl kaum scheitern.