Der schwedische Schriftsteller Henning Mankell berichtet erstmals von seinen Erlebnissen als Teilnehmer der „Gaza-Solidaritätsflotte“.
Kopenhagen.Sein selbst auferlegtes Schweigen dauerte nicht lange. Übernächtig, unrasiert und mit teils geborgter Kleidung war Henning Mankell in der Nacht auf Mittwoch aus Israel deportiert worden und in Schweden eingetroffen. Mit ausführlicheren Erklärungen wollte er warten, bis auch die letzten seiner Kollegen vom „Free-Gaza-Konvoi“ aus der Haft entlassen seien, sagte er.
Jetzt sind sie frei, und Mankell redet wieder. Schon am Donnerstag, keine 48 Stunden nach seiner Rückkehr, setzte der 62-jährige Erfolgsautor in Berlin die wegen des Gaza-Trips unterbrochene Lesetournee fort.
„Ich sehe das Monster erwachen“
Bei aller Begeisterung für den Schriftsteller war dabei klar: Jetzt steht der Polit-Aktivist im Zentrum des Interesses. In Israel sieht Mankell Parallelen zu Südafrikas Apartheidsystem. „Ich habe dessen Zermalmung miterlebt“, sagt der Autor, der damals in der Boykottfront kämpfte, „jetzt sehe ich das Monster wieder erwachen.“
Mankell nahm an den Protesten gegen den Vietnam-Krieg und Portugals Kolonialkrieg in Afrika teil, er engagierte sich in Schweden am äußersten linken Flügel. Jetzt sieht er in Israels Okkupationspolitik das Übel, das es zu bekämpfen gilt. Deshalb schloss er sich dem Schiffskonvoi nach Gaza an.
„Ich grüble viel über die israelische Dummheit“, sagte er der Zeitung „Dagens Nyheter“, „wenn sie uns stoppen wollten, konnten sie doch die Propeller oder das Steuer zerstören und die Schiffe wegbugsieren. Aber wissentlich eine gewaltsame Konfrontation zu suchen und Menschen zu töten – ich verstehe das nicht.“
An Bord der „Sofia“ war Mankell eine Seemeile von dem blutigen Geschehen auf der türkischen „Mavi Marmara“ entfernt. „Ich hatte von zwölf bis drei eine ruhige Wache geschoben und mich gerade niedergelegt, als jemand kam und sagte, dass etwas in Gang sei.“ Sie sahen Hubschrauber, Soldaten, die sich abseilten, hörten Schüsse. Es war halb fünf, die Flotte befand sich weit außerhalb der israelischen Territorialgewässer.
Mankells Urteil ist hart: „Das war Piraterie, Kidnapping, das war Mord.“ Eine Stunde später wurde die „Sofia“ geentert. „Wir waren auf der Brücke, sie sagten, wir sollten runter ins Boot. Wenn sich jemand zu langsam bewegte, wurde er mit Strompistolen angeschossen, das tut fürchterlich weh.“ Mit „viel zu viel Gewalt“ seien die Festnahmen erfolgt, auch wenn ihm selbst nicht bange war: „Ich wusste, dass sie wussten, wer ich bin.“
Bic-Rasierer als Waffe?
Dass der Konvoi Waffen mitführte, weist der Autor scharf zurück. „Die Israelis können schreien, wie sie wollen: Das ist Nonsens.“ Auch auf seinem Schiff habe ein maskierter Soldat behauptet, man habe Waffen gefunden, und sie seien alle „Terroristen“. Mankell: „Und dann zeigte der Idiot die ,Waffen‘: einen Bic-Rasierer und ein Stanleymesser aus der Küche.“
Die israelischen Soldaten seien auch „Diebe“, denn er habe bei der Aktion sein Geld, seine Kreditkarten, sein Handy und einen Computer eingebüßt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2010)