Kulturhauptstadt 2024

Die Kür eines Kurorts

Das idyllische Bad Ischl (im Bild das Traunufer im Winter) will das Kulturkonzept auch nutzen, um Alternativen zum Hypertourismus zu finden.
Das idyllische Bad Ischl (im Bild das Traunufer im Winter) will das Kulturkonzept auch nutzen, um Alternativen zum Hypertourismus zu finden. (c) Getty Images/Westend61 (Westend61)
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Bad Ischl wird – im Verbund mit anderen Salzkammergut-Gemeinden – Europäische Kulturhauptstadt. Mit Minimalinvestitionen will die Region ihr Image entstauben.

Die Steiermark und Oberösterreich hatten „ihre“ Europäische Kulturhauptstadt schon – bald dürfen die beiden Bundesländer erneut die Aufmerksamkeit genießen, die der EU-Titel jährlich (mindestens) zwei Regionen bringen soll: Bad Ischl wird 2024 Kulturhauptstadt, und mit ihm rund 20 steirische und oberösterreichische Gemeinden aus dem Salzkammergut, die sich mit einem gemeinsamen Konzept gegen die Konkurrenz in St. Pölten und Dornbirn durchsetzen konnten. Es ist das dritte Mal, dass eine österreichische Stadt den Titel tragen darf, nach Graz (2003) und Linz (2009).

Jubel bei der Salzkammergut-Delegation im Kanzleramt: Das Konzept hat gewonnen.
Jubel bei der Salzkammergut-Delegation im Kanzleramt: Das Konzept hat gewonnen. (c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)

Im Bundeskanzleramt, wo die Entscheidung der internationalen Jury am Dienstagvormittag verkündet wurde, brach bei der Bekanntgabe Jubel aus. Die teils in Tracht angereisten Vertreter der Salzkammergut-Delegation fielen einander um den Hals, wischten sich Freudentränen ab, teilten in die Reihen der St. Pöltner und Dornbirner freundliche Handschläge aus. Im Bad Ischler Lehar-Theater war für alle Fälle eine große Zusammenkunft vorbereitet worden – um „entweder zu trauern oder zu feiern“, erzählt der Grundlseer Bürgermeister, Franz Steinegger, der von einer „irrsinnigen Zustimmung“ für das Projekt berichtet: Noch nie hätten die unterschiedlichen Gemeinden so sehr zusammengearbeitet (wenngleich nicht alle immer begeistert waren, Gmunden war zwischenzeitlich ausgestiegen).

Beschäftigung mit eigenen Konflikten

Auch Eva Maria Mair, Projektmanagerin der Bewerbung, betont die „breite Bewegung“, die hier an einem Strang ziehe. Trachten und zerrissene Jeans, Senioren und Teenager, Kaiserkitsch und Gegenkultur, Traditionsbewusstsein und Migration und nicht zuletzt Politiker verschiedener Parteien (die ehemaligen Salzarbeiterstädte sind traditionell rot, die äußeren Salzkammergut-Gemeinden eher schwarz): Das Bad Ischler Konzept nimmt sich vor, aus der Reibung, die zwischen Gegensätzlichem entsteht, Spannendes zu gewinnen. „Die Energie, die sich da aufgebaut hat“, dürfte auch die Jury überzeugt haben, glaubt Mair.

Tatsächlich interessierte sich die Jury für die innerregionalen Konflikte, die das Salzkammergut 2024 ansprechen will. Die Auswahlkriterien hätten alle drei Bewerberstädte erfüllt, sagt Juryvorsitzende Cristina Farinha zur „Presse“ – ausschlaggebend sei letztlich die europäische Dimension des Gewinnerprojekts gewesen: „Die Konflikte, die hier behandelt werden, sind auch in vielen anderen europäischen Städten ein Thema.“ Sie traut Bad Ischl zu, einen internationalen Dialog anzustoßen und ein Vorbild zu sein.

Dass die Stadt den Titel nicht allein beantragen würde, war bald klar. Als die Kulturhauptstädte 1985 ins Leben gerufen wurden, wurden anfangs meist Großstädte bedacht. Mit dem Ruhrgebiet und der Provence trugen bereits zwei Regionen den Titel – denen mit Essen und Marseille allerdings deutlich größere Städte vorstanden als die 13.000-Seelen-Gemeinde Bad Ischl. Deren Bürgermeister, Hannes Heide, sieht nun auch ein Signal für den ländlichen Raum.

Der sich in diesem Fall davor fürchtet, gänzlich „zum „touristischen Sport- und Freizeit-Disneyland“ zu verkommen, wie es im ersten Bewerbungskonzept heißt. Bad Ischl will den Problemen – Landflucht, Übertourismus, ein im Historischen verhafteter Kulturbegriff – nun mit einer „zeitgemäßen Kulturbewegung“ begegnen. Neubauprojekte sind keine geplant, dafür sollen mit Minimalinvestitionen (bis zu 30 Millionen Euro sind insgesamt veranschlagt, je ein Drittel kommt üblicherweise von Gemeinden, Ländern und Bund) bestehende Kulturräume renoviert werden – etwa das Lehar-Theater oder das Gmundner Stadttheater. In Ischler Leerständen könnte ein neues Kulturzentrum entstehen. Der Kaiserromantik in Bad Ischl, Franz Josefs einstiger Sommerresidenz, will man mit kritischer Gegenkultur begegnen, wie sie in Ebensee bereits etabliert sei. „Den Kaiserschmarren versalzen“, heißt es dazu im Erstkonzept, als Idee wird etwa ein Festival für Alternative Musik genannt. Von Vielfalt ist viel die Rede – und von Themen, die die Einheimischen beschäftigen, vom Wirtshaussterben bis zum Klimawandel: „Es geht darum, unser Lebensumfeld zu diskutieren“, sagt Mair.

Touristen als Mitbewohner

Eines soll das Kulturhauptstadtjahr ausdrücklich nicht: noch mehr Touristen anziehen. Statt auf Wachstum will man „auf Qualität setzen“ und eine nachhaltigere Verteilung – im Norden der Region seien noch viele Betten frei, heißt es. Das Ischler Programm sucht also auch neue Tourismuskonzepte. Es gibt Ideen für Kunstprojekte, um „Touristen als temporäre Mitbewohner“ zu verstehen, erzählt Mair. Im Rahmen von einer Art Artist-in-Residence-Programm könnten Gastkünstler aus asiatischen Ländern ein halbes Jahr im Salzkammergut verweilen – im Gegensatz zu vielen Landsleuten, die für drei Stunden nach Hallstatt kommen.

WISSENSWERTES ÜBER BAD ISCHL UND DAS SALZKAMMERGUT

Der Name Ischl ist erstmals im Jahr 829 als Iscula bezeugt – für den Fluss, der bei Bad Ischl in die Traun fließt. Die Herkunft des Wortes ist ungeklärt, vielleicht kommt es vom keltischen „esk“ (Wasser) oder vom romanischen „iscla“ (Au).

Kurort ist Bad Ischl seit 1822, damals kamen die ersten Kurgäste, davor wurde die Wirkung von Solebädern schon an erkrankten Salinenarbeitern erprobt. Goisern ist seit 1931 offiziell Heilbad und Luftkurort, Aussee wurde schon 1868 zum Kurort erklärt und erhielt 1911 den Titel „Bad“. Von 1987 bis 1997 gab es eine Ischler Punkband namens Kurort.

Kammergut nannte man einst ein Gebiet, das direkt im Besitz des Landesherrn war, im Fall des Salzkammerguts der Erzherzöge (bzw. später der Kaiser) des Hauses Habsburg.

Das Salzkammergut wurde 1656 erstmals urkundlich erwähnt, feierte daher 2006 seinen 350. Jahrestag. Was dazu gerechnet wird, ist umstritten, es liegt auf jeden Fall in drei Bundesländern: Oberösterreich, Salzburg, Steiermark.

Die Traun ist der zentrale Fluss des Salzkammerguts, in Bad Aussee vereinen sich die Grundlseer Traun und die Altausseer Traun, bald darauf kommt die Kainischtraun dazu. Dann fließt sie durch eine Schlucht zum Hallstätter See. Bei Ebensee fließt sie in den Traunsee, den sie in Gmunden wieder verlässt.

Der Mittelpunkt Österreichs wurde 1949 in Bad Aussee lokalisiert, 1989 wurde im dortigen Kurpark ein Mittelpunktstein enthüllt, 2005 wurde dort in Zusammenarbeit mit der Firma Mercedes-Benz eine Brücke in Form eines Mercedes-Sterns errichtet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2019)

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