Sie sind vor den Gefahren in ihrer Heimat geflohen oder wollten in Libyen Arbeit finden. Jetzt stehen Zehntausende Migranten zwischen den Fronten. Ein Lokalaugenschein in Libyens Hauptstadt Tripolis.
Es sind schreckliche Bilder, die der 24-Jährige nur schwer aus dem Kopf bekommt. Seraj al-Trabelsi zeigt auf seinem Smartphone Fotos von schwarzen Leichensäcken, die am Ufer nebeneinander hingelegt worden sind. Der junge Libyer arbeitet für den Roten Halbmond in der libyschen Hauptstadt Tripolis. Seine Aufgabe: Tote zu bergen. Die Opfer, die er auf seinen Bildern zeigt, sind Flüchtlinge, die versucht haben, mit Booten nach Europa zu gelangen. Und die das gefährliche Unterfangen mit ihrem Leben bezahlt haben.
Ein Einsatz hat Seraj al-Trabelsi zuletzt besonders zugesetzt. „Als wir ankamen, waren die Verletzten schon abtransportiert. Unter dem Schutt lagen aber noch überall Tote“, berichtet der 24-Jährige. „Teilweise fanden wir nur noch Körperteile. Es war ein Desaster.“ Mit seiner Schilderung beschreibt er die verheerenden Folgen des Angriffs auf das Lager Tajoura im Juli 2019. In dem Haftzentrum bei Tripolis wurden Flüchtlinge festgehalten. Die libysche Regierung in Tripolis sprach von einem Luftangriff durch Flugzeuge des Warlords General Khalifar Haftar. Der bestritt aber die Verantwortung für das Massaker.
Libyens international anerkannte Regierung und mit ihr verbündete Milizen kämpfen seit Monaten gegen die Einheiten Haftars, der die Macht in der Hauptstadt an sich reißen will. Sie tragen ihren Konflikt mit Drohnen, schweren Maschinengewehren und Raketenwerfern aus – und mit der Hilfe zahlreicher externer Akteure wie der Türkei oder der Vereinigten Arabischen Emirate. Zehntausende Migranten und Flüchtlinge, die vor allem aus südlicheren Teilen Afrikas stammen, sind dabei zwischen die Fronten geraten. Mehr als 600.000 Migranten halten sich laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Libyen auf, mehr als 80.000 davon in Tripolis.