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Erneuter Angriff im Irak? USA und Miliz dementieren

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IRAQ-IRAN-POLITICS-UNREST-US-FUNERALAPA/AFP/SABAH ARAR
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Verwirrung um einen mutmaßlichen erneuten US-Luftangriff im Irak: Die Amerikaner dementieren - und auch die Miliz, die anfangs von dem Angriff gesprochen hatte, bestreitet diesen.

Die USA bestreiten, in der Nacht auf Samstag bei Bagdad eine Miliz angegriffen zu haben, nachdem am Vortag der führende iranische General Qasem Soleimani durch einen US-amerikanischen Drohnenangriff im Irak getötet wurde. Die Militärkoalition habe zuletzt keine Luftangriffe in der Nähe des Lagers Taji im Norden der irakischen Hauptstadt geflogen, schrieb der Sprecher des gegen den IS gerichteten Bündnisses auf Twitter. Auch die angeblich von dem Angriff betroffenen Volksmobilisierungskräfte (PMF/Hashd-al-Shaabi-Milizen) bestritt am Samstag, Ziel geworden zu sein. Sie hatte den mutmaßlichen Angriff davor selbst vermeldet.

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Das irakische Militär bestritt ebenfalls, dass es zu einem solchen Angriff gekommen sei. In der Nacht hatte es geheißen, die US-Amerikaner hätten einen Militärkonvoi der Miliz angegriffen, der sich gegen Kämpfer gerichtet, aber Sanitäter getroffen habe. Von sechs Toten und mehreren Verletzten war die Rede. Nachrichtenagenturen und das irakische Staatsfernsehen hatten sich hierbei auf informierte Personen aus irakischen Sicherheitskreisen berufen.

Die Volksmobilisationseinheiten sind vom Iran unterstützte Schiiten-Milizen im Irak.

Tausende Iraker bei Trauerzug in Bagdad

Indes haben tausende Iraker am Samstag in der Hauptstadt an einem Trauerzug für Soleimani und den irakischen Milizenführer Abu Mehdi al-Muhandis teilgenommen. Sie skandierten "Tod für Amerika". Am Samstag findet ein Staatsbegräbnis für Muhandis statt, das mit einer Prozession in Bagdad beginnt. Auch Muhandis, der Vizechef der Hashd-al-Shaabi-Milizen, waren in der Nacht auf Freitag bei dem US-Drohnenangriff nahe dem Flughafen von Bagdad getötet worden.

Kämpfer und Anhänger der pro-iranischen Volksmobilisierungskräfte zuvor waren am Dienstag zum US-Botschaftsgelände in Bagdad vorgedrungen. Bei den folgenden Zusammenstößen zwischen US-Sicherheitskräften und Kämpfern der Milizen wurden dutzende Menschen verletzt. US-Außenminister Mike Pompeo warf Muhandis vor, hinter der Attacke auf die Botschaft zu stecken.

Iran an UN-Sicherheitsrat: „Staatsterrorismus“

Die Tötung Soleimanis rief am Freitag international Befürchtungen vor einer Gewalteskalation in der Golf-Region hervor. US-Präsident Donald Trump betonte unterdessen, dass er keinen Krieg mit dem Iran wolle. Auch wolle die US-Regierung keinen Regimewechsel in Teheran herbeiführen, sagte Trump am Freitag.

Der Iran hat sich unterdessen in einem Brief an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Recht auf Selbstverteidigung vorbehalten. Die Tötung Soleimanis sei "ein offensichtliches Beispiel für Staatsterrorismus" und eine eklatante Verletzung der Grundsätze des internationalen Rechts, schrieb der iranische UNO-Botschafter Majid Takht-Ravanchi. Gegenüber dem US-Sender CNN sagte Takht-Ravanchi, die Tötung Soleimanis sei gleichbedeutend mit einer Kriegserklärung an sein Land.

Pompeo: Angriff „gute Sache für die ganze Welt“ 

US-Außenminister Pompeo kritisierte hingegen die Europäer. Amerikas europäische Verbündete seien "nicht so hilfreich" gewesen wie er gehofft habe, sagte Pompeo am Freitag in einem TV-Interview. Die Tötung Soleimanis war von den US-Republikanern und Israel begrüßt worden. Staats- und Regierungschefs im Westen warnten hingegen vor einer Eskalation der Spannungen in der Golfregion.

Nach Gesprächen mit Verbündeten in der Region und in Europa sagte Pompeo: "Ehrlich gesagt waren die Europäer nicht so hilfreich, wie ich es mir wünschen würde." Die Briten, die Franzosen und die Deutschen müssten verstehen, "dass das, was wir, was die Amerikaner getan haben, auch Leben in Europa gerettet hat". Die Gespräche mit den US-Partnern in der Region seien dagegen "alle fantastisch" gewesen.

Der Angriff sei "eine gute Sache für die ganze Welt" gewesen, fügte Pompeo hinzu. Er forderte "alle in der Welt" auf, die USA bei ihrem Versuch zu unterstützen, den Iran dazu zu bringen, "sich einfach wie eine normale Nation zu verhalten".

Anti-IS-Koalition setzt Ausbildungen aus

Die Koalition gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) setzte indes die Ausbildung von Sicherheitskräften der Kurden und der Zentralregierung im Irak infolge der Eskalation aus. Eine entsprechende Entscheidung traf das Hauptquartier zum Schutz der eigenen Kräfte. Das teilte das Einsatzführungskommando der deutschen Bundeswehr, die an der Soldaten-Ausbildung mit mehr als 400 Männern und Frauen - zum Großteil in Jordanien und dem Irak - beteiligt ist, den Obleuten im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages am Freitagabend mit. Dies sei für alle beteiligten Partnernationen der Anti-IS-Koalition bindend. "Damit ruht vorübergehend die Ausbildung für die irakischen Sicherheits- und Streitkräfte im gesamten Irak", hieß es in der Unterrichtung.

Zuvor waren schon im Zentralirak die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden. Das Hauptquartier der Militärkoalition ordnete dort Einschränkungen für Bewegungen am Boden und in der Luft an. Zu den beteiligten Nationen gehören neben den USA und Deutschland Großbritannien, Frankreich, Australien, Italien, Belgien, Kanada sowie Jordanien.

Iran kündigt Vergeltung an

Nach der Tötung Soleimanis hatte die iranische Staatsführung selbst Vergeltung angekündigt. Das geistliche Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei schrieb am Freitag in einem Beileidsschreiben, die Urheber der Attacke erwarte "eine schwere Rache". Auch Präsident Hassan Rouhani warnte: "Zweifellos werden der Iran und andere unabhängige Staaten dieses schreckliche Verbrechen der USA rächen." Außenminister Mohammad Javad Zarif sagte auf Twitter voraus, die Ermordung Soleimanis werde zu einer Eskalation der Krise führen.

Der irakische Ministerpräsident Adel Abdul Mahdi verurteilte die Tötung Soleimanis als Aggression gegen sein Land. Er sprach von einer "gefährlichen Eskalation, die die Lunte zu einem zerstörerischen Krieg im Irak, in der Region und in der ganzen Welt entzündet".

Trump: „Gehandelt, um Krieg aufzuhalten“ 

Die USA wiederum bezeichneten Soleimanis Tötung als Akt der Selbstverteidigung. Trump sagte am Freitag, Soleimani habe an "finsteren" Angriffsplänen gegen US-Ziele gearbeitet und sei deshalb ausgelöscht worden. Die USA wollten keinen Regimewechsel im Iran erreichen. Die Vereinigten Staaten täten aber alles, um die eigenen Diplomaten, Soldaten und Bürger zu schützen. "Ich bin bereit und vorbereitet, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen - und das bezieht sich insbesondere auf den Iran", sagte Trump. Er betonte zugleich, er wolle keinen Krieg mit Teheran. "Wir haben (...) gehandelt, um einen Krieg aufzuhalten. Wir haben nicht gehandelt, um einen Krieg zu beginnen."

Wegen der neuen Spannungen verlegen die USA zusätzlich mehrere tausend Soldaten in die Region. Sie würden angesichts der gestiegenen Bedrohungslage als "Vorsichtsmaßnahme" in Iraks Nachbarland Kuwait stationiert, hieß es am Freitag aus dem US-Verteidigungsministerium. Übereinstimmenden US-Medienberichten zufolge handelte es sich um bis zu 3500 Soldaten. Das Pentagon nannte zunächst keine genaue Zahl. Seit Mai hatten die USA rund 14.000 zusätzliche Truppen in den Nahen Osten geschickt. Schon wenige Stunden nach dem Angriff auf Soleimani hatte die US-Botschaft in Bagdad alle US-Bürger aufgerufen, den Irak umgehend zu verlassen.

Die Al-Quds-Brigaden, die Soleimani seit 1998 führte, sind jenseits der iranischen Grenzen im Einsatz. Sie unterstützten den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad, als ihm in dem seit 2011 dauernden Bürgerkrieg die Niederlage drohte. Soleimani sorgte auch für enge Beziehungen zur schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon. Im Irak kämpften Soleimanis Einheiten an der Seite schiitischer Milizen gegen den IS. Die jüngste Eskalation hinterließ Spuren an den internationalen Märkten: Der Ölpreis zog an. Die Börsenkurse gaben rund um den Globus nach.

(Ag./Red.)

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