EU-Chefs verabreichen neue Beruhigungspillen

EuroKrise EUChefs verabreichen neue
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Um die Märkte zu beruhigen, suchten die EU-Chefs nach Möglichkeiten für mehr Budgetkontrolle, wirtschaftliche Koordinierung und Maßnahmen gegen riskante Finanzgeschäfte.

BRÜSSEL. Das Spiel wiederholt sich: EU-Gipfeltreffen werden zum Wettlauf mit den hypernervösen Finanzmärkten. War das zuletzt die Angst vor einer Pleite Griechenlands, trieben nun Spekulationen über eine Bankenkrise in Spanien die Staats- und Regierungschefs zum Handeln. Erneut versuchten die 27, Beruhigungspillen zu verabreichen. Manchen dürfte aber der Wirkstoff fehlen.

Banken: Hosen runter

Bis Ende Juli werden die Ergebnisse der Stresstests veröffentlicht, die der Ausschuss der Europäischen Bankaufseher (Cebs, Finanzmarktaufsicht und Österreichische Notenbank sind dabei) dieser Tage mit den 22 wichtigsten europäischen Banken gemacht hat. „Es gab Übereinstimmung zu größtmöglicher Transparenz. Die Finanzminister müssen die Details festlegen“, sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das soll die Gerüchte über die Konkursreife zahlreicher Institute zerstreuen. Dagegen spricht erstens, dass die spanischen Sparkassen, die für die jüngsten Probleme ihres Landes hauptverantwortlich sind, von diesen Tests nicht erfasst werden. Zweitens prüft man mit solchen Tests, wie die Banken mit absoluten „Worst-Case“-Szenarien umgehen. Bloß ist das schlimmstmögliche Szenario, das man vor zwei Jahren getestet hat, nun Realität. Darum besteht die Gefahr, dass die Stresstests immer schlimmere Szenarien prüfen. Die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse würde dann erst recht die Märkte panisch stimmen. Bundeskanzler Werner Faymann war bis zuletzt gegen die Veröffentlichung. Auf Anfrage der „Presse“ sagt die Sprecherin des Binnenmarktkommissars Michel Barnier, dass auch überlegt werde, kleinere Banken den Tests zu unterziehen.

Budgets: Früher, strenger prüfen

„Nie wieder!“, war das Motto nach dem Ausbruch der Griechenland-Schuldenkrise. Die EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen nun eine Neuauslegung des Euro-Stabilitätspakts. Die Mitgliedstaaten sollen vorzeitig ihre Budgetpläne an Brüssel übermitteln. Im Abschlussdokument des EU-Gipfels wird eine „Stärkung des präventiven und der korrektiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts“ angekündigt. Die nationalen Haushaltsdaten sollen jeweils im Frühjahr an Brüssel übermittelt werden, um Korrekturen zu ermöglichen. Damit nicht erneut Mitgliedstaaten falsche Angaben machen, wird die „Qualität der Daten“ durch mehr Kontrollmöglichkeiten für das EU-Statistikamt Eurostat verbessert. Außerdem soll mehr Augenmerk auf die Entwicklung der Staatsverschuldung gelegt werden. Denn bisher hatte Brüssel nur auf ein zu hohes jährliches Defizit reagiert.


Die Maßnahmen haben einen erheblichen Schönheitsfehler: Es gibt weiterhin keine Verschärfung der Sanktionen gegen Budgetsünder. Sowohl der von Deutschland geforderte Entzug des Stimmrechts als auch das von Berlin favorisierte Insolvenzverfahren für bankrotte Eurostaaten wird es vorerst nicht geben. Auch Österreichs Bundeskanzler Faymann hat sich gegen den Entzug des Stimmrechts ausgesprochen.

Wirtschaftspolitik koordinieren

Eine der Ursachen der Eurokrise liegt im Auseinanderdriften der Teilnehmerländer bei Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit. Um hier wieder einen Gleichklang zu schaffen, soll die von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy durchgesetzte Wirtschaftsregierung Realität werden.  Der Gipfel beschloss unter dem Titel „Überwachung der Wirtschaftspolitik“, dass künftig frühzeitig gemeinsam auf Fehlentwicklungen reagiert werden soll. Es wird aber keine neue Institution geben. Der Job bleibt den 27 Staats- und Regierungschefs überlassen. Die Effizienz dieses Vorgehens ist fraglich, denn es bleibt offen, ob sich die Koordinierung der Wirtschaftspolitik an exportstarken Ländern wie Deutschland orientieren wird – oder an jenen, die wie Frankreich den Schwerpunkt auf die Inlandsnachfrage richten. Das Grundproblem einer Weichwährungstradition in einigen Staaten wurde nicht angesprochen.


Zudem hat man sich nach monatelangem Hin und Her auf die Beschäftigungs- und Wachstumsstrategie bis 2020 geeinigt. So soll EU-weit die Beschäftigungsquote 75 Prozent betragen, die Zahl der Schulabbrecher auf unter neun Prozent sinken und die Zahl der Armen und von Armut Gefährdeten von 120 auf 100 Millionen sinken. Sanktionen sind nicht vorgesehen. Bis zum Oktober-Gipfel werden diese Ziele für jedes Land individuell heruntergebrochen.

Finanzmärkte streng regulieren

„Die notwendigen Reformen, um die Gesundheit und Stabilität des europäischen Finanzsystems muss komplettiert werden“, erklärten die 27 EU-Führer. Sie wollen, dass die verstärkte Struktur der europäischen Aufsicht über die Märkte und ihre Akteure ab Anfang des Jahres 2011 in Amt und Würden ist.
Das klingt gut, hat aber einen Haken: Genau dieselben 27 Damen und Herren haben den harten Kern dieser Reformen aufgeweicht.


Im September 2009 schlug die Kommission vor, aus den drei bestehenden Ausschüssen, in denen sich die nationalen Banken-, Börsen- und Versicherungsaufseher treffen, echte EU-Aufsichtsbehörden mit starkem Durchgriffsrecht aufzuwerten. Die drei EU-Behörden sollten also den Mitgliedstaaten Vorschriften machen dürfen, wenn diese oder jene Bank mehr Eigenkapital benötigt oder die Spekulation mit Wertpapieren aus dem Ruder zu laufen droht.


Dieses Durchgriffsrecht hat der Rat noch 2009 gestrichen. Zwar versucht das Europaparlament, das in dieser Sache Mitgesetzgeber ist, den drei Behörden in Frankfurt (für Wertpapiere), London (für Banken) und Paris (für Versicherungen und Betriebspensionen) doch noch Zähne zu geben. Gegen den Willen von Merkel, Sarkozy und Konsorten ist das unmöglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2010)

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