Durch einen kleinen Auftrag der Bahnsparte geriet Siemens ins Zentrum der globalen Klimadiskussion und musste sich zwischen Vertragsbruch und einem PR-Desaster entscheiden.
Wien. Am Ende entschied sich der deutsche Siemens-Konzern für die Vertragstreue. Der im Dezember mit dem indischen Bergbaukonzern Adani geschlossene Vertrag über die Lieferung einer Zug-Signalanlage werde erfüllt, teilte das Unternehmen am Sonntagabend nach einer zweitägigen Nachdenkpause mit. Man habe bei Siemens zwar großes Verständnis für die Anliegen der Klimaaktivisten, müsse aber „ein verlässlicher Lieferant für die Kunden bleiben, um die Zukunft der 385.000 Mitarbeiter weltweit zu sichern“, schrieb Siemens-Chef Joe Kaeser in einem offenen Brief.
Von den angesprochenen Klimaaktivisten – allen voran dem deutschen Ableger von Fridays for Future – wurde im Gegenzug zu erneuten Demonstrationen gegen Siemens aufgerufen. Erste kleinere Proteste gab es bereits am Montag in mehreren deutschen Städten. Vor allem bei der Siemens-Hauptversammlung am 5. Februar wollen die Klimaschützer jedoch erneut lautstark auf ihre Kritik an Siemens hinweisen. Besonders sauer stößt ihnen dabei auf, dass Siemens für sich selbst das Ziel ausgerufen hat, bis 2030 CO2-neutral zu werden. Diese Bestrebungen seien nun „vollständig zunichtegemacht“, erklärte Fridays for Future Deutschland. Denn zu diesem Ziel gehöre es auch, sich „nicht am Bau eines Wahnsinnsprojekts zu beteiligen, das im Alleingang das weltweite 1,5-Grad-Ziel gefährdet“.
Boykottaufrufe gegen Siemens
Aber nicht nur in Deutschland hagelte es am Montag Kritik für die Entscheidung von Siemens. So meldete sich auch die schwedische „Fridays for Future“-Initiatorin Greta Thunberg zu Wort. Und auch in Australien wurden weitere Proteste gegen den deutschen Konzern angekündigt. In sozialen Netzwerken wurde indes auch bereits zum Boykott von Siemens aufgerufen. Der Münchner Konzern findet sich also zunehmend im Zentrum einer globalen Klimadiskussion wieder. Doch was war eigentlich geschehen?
Anlassfall ist die Carmichael-Mine im nordöstlichen australischen Bundesstaat Queensland. Sie wird seit 2010 vom indischen Bergbaukonzern Adani entwickelt und soll nach Inbetriebnahme eine der größten Kohleminen der Welt sein. Das Projekt wird dabei von Beginn an von Protesten begleitet, diese richteten sich anfangs jedoch vor allem gegen die lokale Umweltzerstörung. So musste für den Abtransport der Kohle der Hafen Abbot Point ausgebaut werden, der nur etwa 20 Kilometer vom Great Barrier Riff entfernt liegt. Die Zunahme des Schiffsverkehrs würde auch ein großes Risiko für das Riff bedeuten, hieß es.
Inzwischen ist aber der CO2-Ausstoß der in Carmichael abgebauten Kohle in den Fokus der Proteste gerückt. Laut einem Gutachten aus einem australischen Gerichtsprozess gegen Adani summieren sich die Kohlendioxid-Emission über die 60-jährige Laufzeit der Mine auf 4,73 Mrd. Tonnen. Das entspricht etwa 0,55 Prozent des CO2-Budgets, das die gesamte Erde noch hat, um das Ziel einer maximalen Erwärmung um zwei Grad einzuhalten.
Winziger Auftrag
Siemens ist an dem umstrittenen Milliardenprojekt nur in einem Nebenaspekt beteiligt. So sollen die Deutschen eine Signalanlage für die Zugstrecke zwischen Mine und Küste im Volumen von knapp 20 Mio. Euro liefern. Die aktuellen starken Buschfeuer und die Diskussion über den Zusammenhang dieser mit der Klimaerwärmung haben diesem in Relation zum gesamten Siemens-Umsatz von rund 87 Mrd. Euro winzigen Auftrag aber nun besondere Aufmerksamkeit verschafft.
Kaeser verweist in seinem Brief nun darauf, dass die Mine von Australiens Regierung, dem Höchstgericht und den Vertretern der lokalen indigenen Bevölkerung genehmigt worden ist. Siemens habe zudem keine Möglichkeit, den Vertrag rückabzuwickeln, ohne einen Bruch zu begehen. „Außerdem gab es auch Konkurrenten. Egal, ob Siemens nun liefert oder nicht – das Projekt wird weitergehen“, so Kaeser, der jedoch einräumt, dass er vielleicht anders entschieden hätte, wäre Siemens in seinem eigenen Besitz.
Unterstützung holt sich der Siemens-Chef dabei vom australischen Bergbauminister Matthew Canavan. Dieser schrieb bereits im Dezember einen Brief an Kaeser, in dem er Siemens aufforderte, nicht nachzugeben. „Es ist unmoralisch von westlichen Demonstranten, gegen eine Industrie zu wettern, die Millionen Menschen aus der Armut bringt, während sie selbst zehn Mal mehr Strom verbrauchen als der durchschnittliche Inder“, schreibt Canavan darin.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2020)