Der Brexit bedroht die Einheit des Vereinigten Königreichs. In Schottland wird der Ruf nach Sezession lauter. In Irland, wo nun gewählt wird, fordern Nationalisten ein Referendum über die Vereinigung mit Nordirland.
London. In der Brexit-Nacht wurden in ganz Großbritannien EU-Flaggen eingeholt. In ganz Großbritannien? Eine kleine Nation im Norden leistete erbitterten Widerstand. Über dem schottischen Parlament wehte trotzig weiter die blaue Fahne mit den zwölf goldenen Sternen, und First Minister Nicola Sturgeon twitterte zum Abschied: „Schottland wird als unabhängige Nation ins Herzen Europas zurückkehren.“
Der Preis für den Austritt aus der EU könnte für Großbritannien der Zerfall der Union aus England, Wales, Schottland und Nordirland werden. Und die Wahl in der Republik Irland am Samstag könnte zudem den Wunsch nach Vereinigung mit Nordirland weiter befeuern. Der Historiker David Edgerton: „Jahrzehntelang war die EU-Mitgliedschaft der Klebstoff, der ein zerfallendes Vereinigtes Königreich zusammenzuhalten half; jetzt zerreißt es der Brexit.“
Irische Irrungen
Wie gespannt die Lage bereits ist, zeigt sich schon an der heutigen Parlamentswahl in Irland. Mit der Partei Sinn Féin liegen die Nationalisten in Irland erstmals in den Umfragen voran. Sie fordern innerhalb von fünf Jahren eine Volksabstimmung über eine Wiedervereinigung der Insel – also mit Nordirland. Sie stützen sich dabei auf das Friedensabkommen von 1998 und sehen sich auch dadurch im Auftrieb, dass bei der letzten Wahl in Nordirland im Dezember erstmals die nationalistischen Kräfte hier eine Mehrheit gewinnen konnten.
Schon im kommenden Jahr könnten zudem auch im Norden die Katholiken erstmals die stärkste Bevölkerungsgruppe stellen. Die Provinz Ulster war nach der Unabhängigkeitserklärung Irlands 1919 von den Briten ausdrücklich zum Schutz der Protestanten, meist Nachkommen schottischer Siedler, geformt worden. Die britische Regierung, die sich als Vollstrecker des Brexit-Volkswillens legitimiert, will zugleich von einer Volksabstimmung der Iren nichts wissen. Das wird noch zu interessanten Argumentationen führen.