US-Präsident reiste mit einem Erfolg zum G20-Gipfel und pries die Reform seines Kollegen als Modell an.
washington. Bis zum Morgengrauen um halb sechs Uhr früh Ortszeit feilschten Demokraten und Republikaner im Vermittlungsausschuss des Kongresses auf dem Kapitol um die letzten Details der Finanzreform, bis endlich die erlösende Einigung fiel. Nach einem mehr als 20-stündigen Verhandlungsmarathon erzielten indes nur die demokratischen Abgeordneten die Vereinbarung, die Wall Street künftig an eine kürzere Leine zu nehmen. Die Opposition versagte die Zustimmung.
In der Nacht zum Freitag lief das selbst auferlegte Ultimatum aus, die Gesetzesentwürfe des Repräsentantenhauses und des Senats anzugleichen. Die striktere Senatsversion nahm durch mehrere Kompromisse eine Abschwächung hin, doch Präsident Barack Obama äußerte kurz vor seiner Abreise zum G20-Gipfel nach Toronto seine Zufriedenheit. Der Kongress habe die härteste Finanzreform seit der Depression der 1930er-Jahre beschlossen, sagte er. „90 Prozent von dem, was ich vorschlug, als ich den Kampf begann, ist darin enthalten.“
Aufgeweichte Volcker-Regeln
In Toronto wies der Präsident den ersehnten Erfolg vor, auf den er als Vorreiter einer Regulierung der Finanzmärkte seit mehr als einem Jahr hingearbeitet hatte. Unermüdlich hatte er die Notwendigkeit einer solchen Reform angemahnt. Jetzt präsentierte er sie den Kollegen der westlichen Industrieländer als eine Art Blaupause, um die Risken des Bank- und Börsenbetriebs unter Kontrolle zu bringen.
In den USA fielen die Reaktionen verhaltener aus. Die Wall Street hatte bis zur buchstäblich letzten Minute durch demokratische New Yorker Abgeordnete massives Lobbying betrieben, um die Härten abzumildern. Mit einigem Erfolg: Die nach dem ehemaligen Notenbankchef und Obama-Berater Paul Volcker benannten „Volcker-Regeln“, die eine Beschränkung des Eigenhandels der Banken zum Ziel hatten, wurden aufgeweicht.
Für den Derivaten-Handel wurden Ausnahmeklauseln geschaffen, eine auf drei Prozent limitierte Beteiligung an Hedgefonds ist künftig zulässig. Die Bankensteuer, die in einen Notfonds für einen etwaigen Bankencrash fließt, schrumpfte auf 19 Milliarden Dollar zusammen.
Die Reform sichert einer staatlichen Aufsichtsbehörde den Zugriff auf die Finanzwelt, die es ihr ermöglicht, marode Banken aufzulösen und Teile aufzusplittern. Sie stärkt darüber hinaus die Rolle der US-Notenbank und schafft eine Verbraucherschutzbehörde. Ausgeklammert von der Überwachung durch die Konsumenten bleiben jedoch die Autohäuser, deren Lobby letztlich die Oberhand behielt in dem Machtkampf zwischen Wirtschaft und Politik. Die Verfechter einer Zügelung der Notenbank blieben ebenso auf der Strecke wie die Initiative der Republikaner, die bankrotten Hypothekenbanken Freddie Mac und Fanny Mae in das Reformwerk einzubeziehen.
Enttäuschung in allen Lagern
So zeigten sich die Liberalen mindestens so enttäuscht wie die Konservativen. Der republikanische Senator Judd Gregg kritisierte: „Die Reform wird nicht das Vertrauen in unsere Finanzmärkte zurückbringen und die systematischen Risken entscheidend reduzieren.“ Sein demokratischer Konterpart Chris Dodd replizierte: „Wir wissen nicht, wie das Gesetz funktionieren wird. Aber wir haben etwas getan, was seit Langem an der Zeit war.“ Obama will das Gesetz noch vor dem Unabhängigkeitstag am 4.Juli signieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2010)