Transatlantische Differenzen senken die Erfolgsaussichten des G20-Gipfels in Toronto. Die USA wollen mehr kreditfinanzierte Konjunkturprogramme, die Europäer Bankensteuern.
wien/Toronto.Eigentlich wollten sich die Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) bei ihrem Gipfel in Toronto an diesem Wochenende auf eine striktere Regulierung der globalen Finanzmärkte und auf neue Steuern für die Finanzbranche einigen. Doch das ist in weite Ferne gerückt: Das Treffen in der kanadischen Metropole wird überlagert von dem in der Vorwoche ausgebrochenen transatlantischen Streit um die europäischen Budgetkonsolidierungsprogramme, die nach Meinung der Amerikaner den beginnenden Konjunkturaufschwung wieder abwürgen könnten.
Die Standpunkte sind kontrovers, der Gipfel in Toronto wird also wohl zur ergebnisarmen Zwischenstation auf dem Weg nach Seoul verkommen, wo im Herbst die nächste Zusammenkunft der G20 stattfinden wird.
Wirklich neu am Toronto-Gipfel ist nur die Wiederentdeckung des guten alten Briefs als Kommunikationsmittel: US-Präsident Barack Obama hatte in einem Schreiben an seine „Dear G20 Colleagues“ seine Besorgnis darüber ausgedrückt, dass die schuldengeplagten EU-Länder mit ihren Defizitabbauprogrammen die beginnende Wirtschaftserholung kaputtsparen. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy konterten mit einem (in Kopie an alle G20-Staatsschefs verschickten) Brief an den kanadischen Premier Stephen Harper, in dem sie globale Banken- und Transaktionssteuern verlangten.
Harper wiederum benutzte das Instrument des Briefs, um eine Halbierung der Neuverschuldung bis 2013 vorzuschlagen – und damit einen deutlich langsameren Defizitabbau, als ihn die Europäer derzeit planen.
Die Ausgangsbedingungen für den Gipfel in Toronto sehen also so aus:
•Die schuldengeplagten EU-Länder – deren Schuldenstand heuer noch um 870 Milliarden Euro steigen wird – beharren auf ihren radikalen Sparprogrammen. Die USA möchten hingegen, dass die Weltkonjunktur eine Zeit lang noch durch kreditfinanzierte Programme befeuert wird. Besonders Deutschland und Japan müssen Kritik aus Washington einstecken. Der Vorwurf: Die würden, statt den Inlandskonsum schuldenfinanziert in Gang zu bringen, ihre Exporte forcieren und damit für noch größere Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft sorgen.
•Die Europäer wollen die Finanzbranche durch eine globale Bankenabgabe und eine Finanztransaktionssteuer an den Kosten der Krise beteiligen. Kanada, Japan, Südkorea und Australien sind freilich strikt dagegen. Die USA können sich eine Bankenabgabe vorstellen, aber keinesfalls eine Transaktionssteuer.
Merkel hat im Vorfeld bereits klargemacht, dass die EU-Länder bei ihren Positionen bleiben wollen – und die geplanten Bankenabgaben notfalls auch im Alleingang einführen. Es werde deshalb, so die deutsche Bundeskanzlerin, „kontroverse Diskussionen“ geben. Und es sei „nicht in allen Bereichen Einigkeit zu erwarten“.
Beobachter halten dies für die Untertreibung der Woche: Die in den diversen Briefwechseln sichtbar gewordenen Gräben gelten als viel zu tief, um sie in Toronto überwinden zu können.
Eine heterogene Gruppe
Ein großes Problem sind die unterschiedlichen Ausgangssituationen: Einige G20-Länder, etwa Kanada, haben die Bankenkrise 2008 elegant umschifft und sind mit einem weitgehend unversehrten Bankensektor aus der Krise gekommen. Sie zeigen wenig Lust, ihre Banken zusätzlich zu belasten.
Die USA wiederum tun sich bei der Verschuldung wesentlich leichter als beispielsweise die Europäer: Der Dollar ist immer noch die Welt-Leitwährung, ein relativ großer Teil der globalen Devisenreserven wird in der US-Währung gehalten. Im Prinzip finanziert also die ganze Welt die US-Schulden mit.
In einer unangenehmen Zwickmühle stecken die Europäer: Ihr Bankensektor ist (gemessen am BIP) deutlich größer als jener der USA, sie sind von der Bankenkrise also stärker getroffen worden. Und die Staatsschuldenprobleme einiger Euro-Länder lassen wenig Spielraum für neue Schulden.
Dass sich die Diskussion der G20 auf den im Kern amerikanisch-deutschen Konflikt um Sparprogramme zuspitzt, hat auch mit einem geschickten Schachzug der chinesischen Regierung zu tun: Die wegen ihrer Währungspolitik unter US-Beschuss stehenden Chinesen haben wenige Tage vor dem Treffen eine Lockerung der strikten Bindung ihrer Landeswährung an den Dollar angekündigt – und sich damit aus der Schusslinie genommen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2010)