Sparen oder Wachstum auf Pump? Die heftige Kontroverse zwischen EU und USA löste sich auf dem G8-Treffen in Kanada in gespieltes Wohlgefallen auf. Merkel holte sich mit ihren Plänen eine Abfuhr.
Angela Merkel tat, was sie zumindest in der Öffentlichkeit nicht allzu oft tut: Sie lächelte, scherzte, plauderte emsig und gelöst. Einmal legte die deutsche Kanzlerin dem US-Präsidenten Barack Obama sogar kurz die Hand auf die Schulter. So geschehen bei einem Spaziergang am See im malerischen Huntsville in Kanada, Ort des G8-Treffens der führenden Industrieländer, das sich am Samstag zum G20-Gipfel erweiterte.
Und der Streit? Die in der letzten Woche immer schärfer werdende Kontroverse zwischen europäischen und amerikanischen Politikern und Ökonomen um die richtige Politik als Ausweg aus der Krise? Die EU, angeführt von Deutschland, will mit strengen Sparprogrammen rasch ihre öffentlichen Haushalte in Ordnung bringen, um Schuldenkrisen wie in Griechenland künftig zu vermeiden.
Japan und Russland schließen sich diesem Bestreben an. Die USA aber setzen auf mehr schuldenfinanzierte Staatsausgaben, um den noch sehr zaghaften Wirtschaftsaufschwung nicht zu gefährden. Ein unlösbarer Widerspruch, wie es schien. Alles halb so schlimm, signalisieren nun die politischen Führer.
Quadratur des Kreises. Ihre Aussagen kurz vor und während des Treffens klangen aber dann doch mehr nach der Quadratur des Kreises als nach einem nachvollziehbaren, salomonischen Kompromiss. Für OECD-Generalsekretär Angel Gurria ist eben „beides notwendig“, sowohl die Staatshaushalte in Ordnung zu bringen als auch das Wachstum zu stärken. Ergänzende Adjektive sollen die Gegensätze aufheben.
Das Sparen soll „intelligent“ erfolgen, gestehen die Europäer ein, und die Amerikaner revanchieren sich damit, dass sie ihr Wachstum von nun an „nachhaltig, dauerhaft und robust“ gestalten wollen. Merkel freut sich, dass Obama „keinen Gegensatz aufgebaut“ habe und dass die Diskussion „von großem gegenseitigem Verständnis geprägt“ sei. Aus dem Umfeld des US-Präsidenten ist sogar von einem „breiten Konsens“ zu hören. Über den richtigen wirtschaftspolitischen Weg in die Zukunft ist mit diesen verbalen Abrüstungsgesten freilich noch nicht entschieden.
Ein klares, wenn auch erwartetes Ergebnis hat dieses Vorbereitungstreffen für die G20-Runde ab Samstag Abend doch gebracht: Merkel ist mit ihrem Vorstoß für eine international einheitliche Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer klar abgeblitzt. „Ich muss sagen, dass die Bereitschaft, hier etwas zu machen, nicht vorhanden war“, sagte die Kanzlerin offenherzig nach der ersten Arbeitssitzung.
Yuan wieder aufgewertet. Gegen eine globale Finanztransaktionssteuer sind nicht nur Kanada, Australien und Japan. Auch viele Schwellenländer aus dem G20-Klub halten nichts davon. Dies ahnend, hatte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy schon im Vorfeld des Gipfels gemeint, Europa müsse bei diesem Thema eben notfalls allein handeln.
Auch für eine globale Bankenabgabe sieht Merkel fürs Erste „kaum noch Chancen“. Wie beim Klimaschutz müsse man eben auch hier „lange und dicke Bretter bohren, damit man vorankommt“. Das Ziel, eine „neue internationale Finanzarchitektur“, werde sie aber weiter fest im Auge behalten.
Viel wichtiger als die wohl gedrechselten Gipfel-Statements waren freilich die nationalen Vorarbeiten, die China und die USA vor dem Treffen geleistet hatten. China ließ seine Währung am Freitag um 0,5 Prozent aufwerten – so stark wie schon seit Jahren nicht mehr. Damit versucht Peking, das Thema Yuan von der Tagesordnung zu bringen und weitere Diskussionen über den richtigen Wechselkurs und die von USA und EU vermutete Manipulation seines Wertes zu vermeiden.
Rückenwind für Obama. Auch US-Präsident Obama reiste mit viel Rückenwind an: Gerade noch rechtzeitig vor dem Gipfel haben sich Demokraten und Republikaner im Kongress auf die größte Reform des Finanzmarktes seit 1930 verständigt. Obama meldete zufrieden, dass 90 Prozent seiner Vorstellungen erfüllt worden seien.
Abgeschwächt wird hingegen die geplante Basel-III-Regulierung. Vor den G20 präsentiert der Ausschuss seinen Stand der Verhandlungen über neue Eigenkapital- und Liquiditätsregeln für Banken. Kurz vor dem Treffen wurde bekannt, dass es auf Druck der Banken zu starken Verwässerungen gekommen ist (siehe Seite 19). gau
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2010)