Im November 2019 erstattete der spätere Attentäter von Hanau Strafanzeige gegen eine "unbekannte geheimdienstliche Organisation", von der er sich verfolgt fühlte. Das Schreiben an den Generalbundesanwalt in Karlsruhe gleicht seinem späteren Terrormanifest.
Der Attentäter von Hanau, Tobias R., erstattete am 6. November 2019 in einem Brief an den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe „Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation“ , von der er sich verfolgt fühlte. Das Dokument, das der „Presse“ vorliegt, deckt sich inhaltlich über weite Strecken mit dem Manifest, das der 43-jährige Deutsche nach seinem Blutbad hinterließ. Es ist ein wildes Gemisch aus Wahn- und Größenvorstellungen. Die ausländerfeindlichen Passagen sind in der Anzeige jedoch deutlich abgemildert, die rassistischen Vernichtungsfantasien bleiben in diesem Text noch unerwähnt.
Der spätere Mörder schickte das Schreiben auch einem österreichischen Intuitionstrainer aus Ternitz in einem Mail als Anhang. „Mir war von Anfang an klar, dass die Person nicht ganz dicht ist. Daher habe ich versucht, sämtlichen Kontakt zu meiden“, erklärte der Niederösterreicher im Gespräch mit der „Presse“. Er erhielt insgesamt vier Mails von dem späteren Mörder. Im ersten schrieb er lediglich: „Hallo, ich habe von einem Privatdetektiv in Deutschland die Empfehlung erhalten mich mit meinem Anliegen an Sie zu wenden. Bitte melden Sie sich telefonisch oder per E-Mail! Hinweis: Meine Mobilnummer ist logischerweise eine deutsche Rufnummer und die entsprechende Vorwahl nach Deutschland muss gewählt werden.“ Im vierten Mail behauptet Tobias R., nach seiner Strafanzeige gehackt worden zu sein.
Ein Sprecher des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe erklärte gegenüber der „Presse“, dass derzeit überprüft werde, ob die Anzeige des späteren Attentäters tatsächlich im November 2019 einging.
In seinem Abschiedsmanifest, das in der Wohnung des Attentäters gefunden wurde, ist der niederösterreichische Intuitionstrainer namentlich erwähnt.
„Vom Geheimdienst verfolgt"
In dem Schreiben aus der Wohnung legt der Attentäter auch seine wirren Motive umfangreicher offen als in dem Schreiben an die Behörden in Karlsruhe. Das Dokument liegt der „Presse“ vor. Tobias R. wähnt sich darin von einem „Geheimdienst“ verfolgt, der „Gedanken lesen“ kann. Zugleich legt der 43-Jährige seinen Hass auf Ausländer offen. Über seinen Anschlag schreibt er: „Dieser Krieg ist als Doppelschlag zu verstehen, gegen die Geheimorganisation und gegen die Degeneration unseres Volkes.“
Der renommierte Rechtsextremismusforscher Florian Hartleb spricht nach Durchsicht der Unterlagen gegenüber der „Presse“ von einem „rechtsextremistischen einsamen Wolf“, den mutmaßlich „eine psychische Störung und politische Motive" zu der Tat getrieben hätten.
Das Dokument trieft vor Ausländerhass. R. zählt eine ganze Reihe von „Völkern“ auf, die in einer "Grob-Säuberung" „komplett vernichtet werden müssten“. Seine Tat rechtfertigt er mit der Ansicht, dass bestimmte Rassen anderen gegenüber überlegen sind.
Wie der Terrorexperte des Londoner King's College Peter Neumann auf Twitter analysiert, betont R. in seinem Manifest zwar den Islam nicht ausdrücklich, fordere aber die Ausrottung verschiedener Länder in Nordafrika, im Nahen Osten und in Zentralasien - „von Marokko bis zu den Philippinen“ - also in Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung.
Geheimdienste, die „sich ins Gehirn einklinken“
Auf den 24 in ausgezeichnetem Deutsch geschriebenen Seiten - es finden sich keine Tipp- oder Grammatikfehler - mischen sich auch Verfolgungs- und Größenwahn. So dachte R. offenbar, er habe als erster enttarnt, dass sich ein Geheimdienst in andere Gehirne "einklinken kann". Daraufhin habe dieser seine Methoden mit ihm geteilt. Er habe mit seinen Gedanken wichtige Ereignisse gesteuert. Als Beispiel nennt er auch Personalentscheidungen der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
Wie beim Attentäter von Halle taucht auch bei R., einem ehemaligen BWL-Studenten, das Thema Frauen immer wieder auf. Der 44-Jährige hatte dem Dokument zufolge nie eine Freundin - und zwar „die letzten 18 Jahre ausschließlich deshalb nicht, da ich mir eben keine Frau nehme, wenn ich weiß, dass ich überwacht werde.“
(twi)