Die USA und die radikalislamischen Taliban haben am Samstag in Katar ein Abkommen unterzeichnet, das den Weg für einen dauerhaften Neuanfang in Afghanistan ebnen soll. Doch die Zweifel, ob die Sache halten wird, sind groß.
„Wir bringen endlich unsere Soldaten nach Haus“, verkündete US-Präsident Donald Trump am Samstag, nachdem Verhandler der USA und der Taliban in der katarischen Hauptstadt, Doha, nach viel Hin und Her ein historisches Friedensabkommen nach rund 19 Jahren Krieg unterschrieben hatten. „In nicht so ferner Zukunft“ soll es sogar ein Treffen zwischen Trump und der Talibanführung geben, sagte der US-Präsident.
Im Abkommen ist festgelegt, dass alle Truppen der USA und verbündeter Streitkräfte (inklusive Österreichs) binnen 14 Monaten abziehen. "Sollten schlimme Dinge passieren, werden wir zurückkehren“, mahnte Trump.
Umgekehrt versprechen die Taliban, keine von afghanischem Gebiet ausgehende Gewalt gegen die USA zu dulden und sich mit der Regierung in Kabul zu arrangieren.
Letztere befindet sich allerdings wegen interner Rivalitäten nach der Präsidentenwahl in einer Schwächephase. Mohammed Hanif, ein Arzt aus Kabul, ist besorgt über die Lage in der Hauptstadt: „Einige sind mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden. Ich verstehe das, doch viele suchen nur nach persönlichen Vorteilen. Die Regierung muss uns als Volk gemeinsam repräsentieren. Sonst wird der Feind von der Krise profitieren.“
Geschwächte Regierung. Vor zwei Wochen – nach fünf Monaten Wartezeit – wurden die Ergebnisse der Wahl verkündet und Amtsinhaber Ashraf Ghani zum Sieger erklärt. Dagegen protestierte sein Hauptgegner, Abdullah Abdullah, der Regierungschef, wegen „Wahlfälschung“ und gab bekannt, eine eigene Regierung leiten zu wollen. Mittlerweile hat er bereits mehrere Offizielle, darunter Gouverneure für zwei Provinzen im Norden des Landes, ernannt.
Das Abkommen mit den Taliban macht die Lage der Kabuler Regierung nicht wirklich einfacher: Sie war bei den Verhandlungen nicht einmal richtig eingebunden. Und so kam es am Samstag zum Vertrag von Doha, wo in den vergangenen 18 Monaten Gespräche zwischen US-Diplomaten und Taliban stattgefunden hatten. Begleitet wurde die Zeremonie unter anderem von US-Außenminister Mike Pompeo, dem US-Sondergesandten Zalmay Khalilzad, der den Pakt auch unterschrieb, und Mullah Abdul Ghani Bradar, dem Führer der Taliban-Delegation.
Der Deal beinhaltet auch die Freilassung von bis zu 5000 Taliban-Häftlingen. In den ersten 135 Tagen nach Unterzeichnung wird die Zahl der US-Soldaten auf 8600 reduziert; aktuell sollen (die Daten sind geheim) mehr als 13.000 im Land sein, dazu Tausende Söldner. Im Gegenzug versichern die Taliban, jegliche Operationen gegen die USA zu unterbinden und ihre Verbindungen zu al-Qaida zu begraben. Personen, die von den USA als Sicherheitsbedrohung wahrgenommen werden, darf kein Unterschlupf gewährt werden. Hinzu kommt die Beteiligung an einem intraafghanischen Dialog.
Während des seit 2001 andauernden Konflikts, der nach dem Anschlag vom 11. September 2001 in New York begonnen hatte, wurden mehr als 1900 US-Soldaten getötet und mehr als 20.000 verletzt. Auch andere Staaten hatten Verluste: Die deutsche Bundeswehr etwa beklagte 59 Todesfälle. Die Zahl der getöteten afghanischen Soldaten ist unbekannt. Laut UNO starben zwischen 32.000 und 60.000 Zivilisten.
Als Vorbedingung für das Friedensabkommen fand in der vergangenen Woche eine „Reduzierung der Gewalt“ statt, die von allen Seiten weitgehend eingehalten wurde. Ein langfristiger Waffenstillstand gehört zu den Zielen des Abkommens. Wann dieser eingeleitet werden soll, ist unklar. Bis vor Kurzem fanden die meisten Kampfhandlungen zwischen afghanischen Soldaten und Taliban-Kämpfern statt.
Viele Afghanen betrachten den Vertrag als ersten Schritt Richtung Frieden. Zahlreiche Fragen stehen allerdings im Raum. Hinzu kommt die Sorge, dass die Taliban den Moment spätestens nach Abzug der Fremden nutzen, um sich wieder an die Macht zu bringen. „Jegliche Bemühungen für den Frieden sollten begrüßt werden. Falls die Taliban allerdings wirklich nicht ein weiteres Mal nach euren Bärten greifen sollten, so soll es euch erlaubt sein, meinen Bart zu bespucken“, kommentierte Tabish Forugh, ein afghanischer Kommentator, das Geschehen.
Kritisiert wird auch, dass die Kabuler Regierung von allen Gesprächen zwischen Amerikanern und Taliban ausgeschlossen war. US-Verhandler Khalilzad, der afghanische Wurzeln hat, machte oft deutlich, dass die Regierung miteinbezogen werde, sobald der Deal unterzeichnet sei. Doch mit dem Ausschluss ging Washington auf die Forderung der Taliban ein, die Kabul als „Marionettenregime“ betrachten.
Taliban als heimliche Sieger. Von der Regierungskrise werden die Taliban profitieren. „Ghani und Abdullah dürfen einander nicht bekämpfen, sondern müssen eine Lösung finden. Die internen Probleme werfen ein schlechtes Bild auf alle Afghanen“, sagt Muneer Ahmad Niazi, Uni-Dozent in Kabul.
Unterdessen fand am Samstag in Kabul eine weitere Zeremonie statt, bei der eine „gemeinsame Erklärung“ zwischen Washington und Kabul unterzeichnet wurde. Dabei versichern die USA Afghanistans Regierung weiter ihrer Hilfe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2020)