Beim Klima ist Streit programmiert

Bei ihrem Besuch in Brüssel las Greta Thunberg Kommissionschefin Ursula von der Leyen die klimapolitischen Leviten.
Bei ihrem Besuch in Brüssel las Greta Thunberg Kommissionschefin Ursula von der Leyen die klimapolitischen Leviten.APA/AFP/JOHN THYS
  • Drucken

Umweltschutz. Brüssel will bis September über die CO2-Vorgaben für 2030 entscheiden.

Brüssel/Wien. Ist das am Mittwoch präsentierte Klimagesetz der EU ein Triumph oder eine Kapitulation? Die Antwort auf diese Frage hängt ganz vom Betrachter ab. Während die EU-Kommission, aus deren legistischer Küche der Entwurf stammt, das Gesetz als einzigen Weg zur Eindämmung der Umweltkrise preist, fällt die Einschätzung von Greta Thunberg völlig konträr aus: Das Klimagesetz sei eine Scheinlösung, die Dringlichkeit der Erderwärmung werde ignoriert, warnte die schwedische Umweltaktivistin bei ihrem gestrigen Besuch in Brüssel.

Lob für Thunberg gab es im Hauptquartier der Brüsseler Behörde nichtsdestotrotz. Ihr Engagement für das Klima sei ein wichtiger Anstoß für das soeben vorgestellte Gesetz gewesen, sagte Kommissionsvize Frans Timmermans der 17-jährigen Besucherin. „Die EU lässt den Worten nun Taten folgen.“ Die in Gesetzesparagrafen gegossenen Taten sehen vor, dass die Europäische Union bis 2050 ihren Ausstoß von Treibhausgasen auf null herunterfahren soll. Die Brüsseler Behörde selbst will dieses Ziel bereits 2030 erreichen, was angesichts der baulichen Infrastruktur – die Bürogebäude der Kommission stammen aus den 1970er- und 1980er-Jahren und entsprechen damit nicht dem neuesten Stand der Klimaschutztechnik – reichlich ambitioniert erscheint.

Keine Nettoreduktion ab 2050

Der gestern vorgestellte Entwurf unterscheidet sich in einem Punkt von den im Vorfeld der Veröffentlichung kursierenden Versionen („Die Presse“ berichtete am 4. März): Anders als ursprünglich angedacht peilt die Union doch nicht die Nettoreduktion von CO2 ab 2050 an. Für die angedachte Senkung der Emissionen um 50 bis 55 Prozent bis 2030 (im Vergleich zum Niveau des Jahres 1990) will die Kommission hingegen bis September 2020 konkrete Vorschläge unterbreiten – eine heikle Entscheidung, denn im Gegensatz zum fernen Jahr 2050 erfordert dieses Zwischenziel bereits jetzt konkrete Maßnahmen seitens der Mitgliedstaaten. Ebenfalls heikel ist der Wunsch nach klimapolitischen Durchgriffsrechten – konkret geht es um das Pouvoir, ab 2023 die Umweltvorschriften alle fünf Jahre weitgehend autonom und mit möglichst minimaler Mitsprache der Unionsmitglieder (durch sogenannte delegierte Rechtsakte) nachjustieren zu können. Dass CO2-Emittenten wie Polen der Kommission bei der Umweltgesetzgebung freie Hand geben werden, ist alles andere als sicher.

Die gestrige Präsentation wurde von flankierenden Maßnahmen begleitet. So will die Kommission das Jahr 2021 zum „Europäischen Jahr der Schiene“ erklären, um für den Bahnverkehr die Werbetrommel zu rühren. Hinzu kommt die Steuerpolitik: Die Kommission will die Arbeit an einem (mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO konformen) CO2-Zoll intensivieren und zusätzlich die europäischen Regeln für die Besteuerung von Energieträgern unter die Lupe nehmen. „Wir wollen die ungleiche Besteuerung von Benzin und Diesel angehen und generell Schlupflöcher bei Kraftstoffsteuern schließen“, sagte der für Währung und Steuern zuständige EU-Kommissar, Paolo Gentiloni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Klimaaktivistin Greta Thunberg (re.) im Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Europa

Thunberg nennt EU-Klimapaket eine "Kapitulation"

Die EU-Kommission hatte wohl auf lobende Worte der Klimaaktivistin gehofft, als man Thunberg nach Brüssel einlud. Doch schon im Vorhinein nannte diese den Plan eines "klimaneutralen" Europas bis 2050 eine Scheinlösung.
Fünf Tage vor dem Ablauf einer selbst auferlegten Frist legt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen heute den Entwurf des EU-Klimaschutzgesetzes vor.
Klimaschutz

Ein EU-Klimagesetz mit Tücken

Die Kommission legt ehrgeizige Vorhaben zur Emissionssenkung vor. Doch der eigentliche politische Streit mit den nationalen Regierungen findet anderswo statt.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.