Athen bekam seit 2015 bereits 2,23 Mrd. Euro. Brüssel kritisiert deren Einsatz.
Brüssel. Bei ihrem Sondertreffen gelobten die Innenminister der EU-Mitgliedstaaten, Griechenland „mit allen erforderlichen Mitteln“ bei der Bewältigung der Krisensituation an seiner Grenze zur Türkei beistehen zu wollen. So viel stand schon vor Beginn dieses Treffens fest. Doch mit welchen konkreten Maßnahmen die anderen Regierungen Athen beispringen wollen, um sowohl die Grenze zu sichern als auch die Zuspitzung des menschlichen Leids der dort gestrandeten Migranten und Flüchtlinge zu lindern, blieb vage.
Konkreter war der Fünf-Punkte-Plan, welchen die Europäische Kommission zu dieser Krisensitzung mitgebracht hatte. Erstens sollten die Mitgliedstaaten jenes Gerät bereitstellen, welches nötig sei, um zwei schnelle Einsatzteams der EU-Küsten- und Grenzwache Frontex zu lancieren. Das umfasst sieben zusätzliche Patrouillenboote, zwei Hubschrauber, ein Flugzeug und drei Fahrzeuge mit Wärmebildkameras, wie Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits am Dienstag bei ihrem Besuch an der griechisch-türkischen Grenze erklärt hatte.
700 Mio. Euro für Athen
Zweitens werde Frontex ein neues Programm zur Abschiebung von Migranten ohne Asylanspruch leiten; das betrifft Personen, die in den fünf am stärksten überfüllten Lagern auf den ägäischen Inseln leben. Drittens erhalte die Regierung in Athen bis zu 700 Millionen Euro an frischem Geld aus dem Unionsbudget, um Grenzschutz und den Umgang mit Migration zu finanzieren. Die Hälfte davon werde sofort ausgezahlt und solle zur Verbesserung der Unterbringung der Menschen in den fünf Lagern beitragen, die Abschiebung von Migranten ohne Asylrecht, die medizinische Versorgung sowie Sicherheitsüberprüfungen der Asylwerber finanzieren, sagte Margaritis Schinas, der für die Koordination dieser Belange zuständige Vizepräsident der Kommission. Die zweite Hälfte der 700 Millionen Euro wolle die Kommission im Wege einer Umschichtung im Haushalt freimachen. Viertens sollten die Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Zivilschutzmechanismus medizinisches Material, Zelte, Decken und andere Materialen bereitstellen. Fünftens seien die Regierungen aufgerufen, dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen 160 Experten für die Abwicklung von Asylverfahren bereitzustellen, die nach Griechenland entsendet werden sollen.
Olaf prüft seit 2018 Betrug
In diesem Zusammenhang klärte sich auch die Fragwürdigkeit der oft geäußerten Behauptung, Europa würde die Griechen mit dem Flüchtlingsproblem alleinlassen. Seit dem Krisenjahr 2015 habe Athen 2,23 Milliarden Euro für diese Zwecke erhalten, bestätigte ein Kommissionssprecher auf Anfrage der „Presse“.
Die Kommission ist nicht zufrieden damit, wie die bis Juli 2019 amtierende Regierung unter dem Linkspopulisten Alexis Tsipras dieses Geld verwendet hat. „Es gab nicht genug Fortschritt dabei, humane Lebensbedingungen in den Lagern zu schaffen und die Verarbeitung der Asylanträge zu beschleunigen“, sagte Innenkommissarin Ylva Johansson. Dabei geht es nicht nur um bürokratische Überforderung, sondern auch um kriminelle Aktivitäten: Seit 2018 prüft das EU-Antikorruptionsamt Olaf einen von der EU finanzierten Auftrag im Wert von 52 Millionen Euro, im Rahmen dessen die Flüchtlingslager mit Lebensmitteln versorgt werden, auf Malversationen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2020)