Krank in Äthiopien

Ärzte-, Betten und Medikamentenmangel und Patientenflut stellen die größten Herausforderungen für Äthiopiens Gesundheitssystem dar.

Veto ist ein junger äthiopischer Mann von fünfundzwanzig Jahren. Sein Leben unterscheidet sich kaum von dem eines jungen Europäers. Er studiert Politik und internationale Beziehungen an der Universität von Addis Abeba, lernt für seine Prüfungen, schreibt Seminar-Arbeiten, lässt hie und da eine Vorlesung ausfallen, wenn es ihm in der Früh einfach zu schwer fällt aus dem Bett zu kommen. In seiner Freizeit trifft er Freunde und geht aus. Veto ist durchtrainiert und modisch gekleidet. Er trägt ein grau-weiß gestreiftes Hemd, die obersten Knöpfe des Kragens sind legere geöffnet. Seine rahmenlose Sonnenbrille, deren Gläser grünlich schimmern, hat er bereits abgenommen.

Da Veto seit einigen Tagen an Diarrhoe leidet, entschließt er sich, dass es vernünftiger ist, ärztlichen Rat einzuholen. Er sucht das St. Gabriel General Hospital in Addis Abeba auf. Für einen Arzttermin im Privatkrankenhaus muss er 5 US$ bezahlen, dafür wird ihm hoher medizinischen Standard und Komfort geboten. - mit Telefon und Fernseher im Zimmer.

Ärztemangel und Patientenflut

Tag für Tag strömen Menschen auf der Suche nach Hilfe und Betreuung in öffentliche Krankenhäuser, bilden endlos lange Schlangen, in der Hoffnung mit einem Arzt sprechen zu können. Im Tikur Anbessa (Black Lion) Hospital wird für Bedürftige kostenlose Behandlung angeboten. Der für einen Arzttermin zu bezahlende Betrag übersteigt in der Regel nicht 1 US$. Mrs. Aynalem, bei der vor zehn Jahren im Alter von 65 Jahren die Diagnose Diabetes mellitus gestellt wurde, weiß, dass die Zeit, die sich Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern nehmen, oft nicht ausreicht, um sich als Patient gut behandelt zu fühlen. Der Grund dafür ist nicht das Desinteresse des behandelnden Arztes, sondern viel mehr eine Folge der Überforderung durch den Andrang der Menschen.

Um das Problem zu umgehen, bedient sich das Black Lion eines Dezentralisierungsmechanismus: So werden z.B. Patienten, bei denen HIV, Tuberkulose oder Diabetes diagnostiziert wurde, oft in ein Distriktkrankenhaus überwiesen, wo sie mit Medikamenten versorgt und notwendige Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden. Durch diese Maßnahme gelingt es, die Patientenzahlen etwas zu reduzieren und sie der vorhandenen Kapazität des Krankenhauses einen Schritt weiter anzunähern.

Dr. Mikru Tarekegne, Internist im Black Lion Hospital, erklärt, dass sich die Zustände in dem Spital ohne Zweifel verbessert haben: „Die Zahl der gut ausgebildeten Spezialisten ist angestiegen, moderne medizinische Geräte sind vorhanden, trotz allem leiden öffentliche Krankenhäuser unter einem großen Ärztemangel." Laut WHO (Weltgesundheitsorganisation) gab es im Jahr 2004 in Äthiopien beinahe 2 000 Ärzte, 2006 waren allerdings nur noch 638 im öffentlichen Sektor tätig. Der finanzielle Anreiz ist im privaten Bereich weitaus größer, aber nur wenige Menschen können sich die Behandlung in einem Privatspital leisten. Mit finanziellen Vorteilen, günstigen Wohnungen und eine Reihe weiterer Vergünstigungen für Ärzte versucht die äthiopische Regierung dem Ärztemangel entgegenzusteuern, und einer weiteren Abwanderung von Ärzten ins Ausland entgegenzuwirken.

Das Ziel des äthiopischen Bildungs- und Gesundheitsministerium ist ein Arzt-Patienten-Verhältnisses von 1:8 000 bis zum Jahr 2020. Dr. Tarekegne ist von den positiven Entwicklungen in dem staatlichen Krankenhaus überzeugt, doch betont er, dass die Probleme nicht unterschätzt werden dürfen: Der Zugang zu Medikamenten ist in vielen Fällen schwierig, was nicht zuletzt auf die stetig wachsende Bevölkerungszahl zurückzuführen ist. Die Wartezeit bis ein Bett in einem staatlichen Spital verfügbar ist, erfordert meist viel Geduld und v.a. einen halbwegs stabilen Gesundheitszustand des Betroffenen. In Äthiopien stehen pro 10 000 Einwohner ungefähr zwei Spitalsbetten zur Verfügung, in Österreich sind es im Vergleich dazu 76.

Im Eingangsbereich des St. Gabriel fragt eine Dame nach Vetos Beschwerden, damit er rasch dem entsprechenden Arzt zugewiesen werden kann. Sie übergibt dem Patienten ein Ticket, jemand aus dem Personal misst Vetos Blutdruck und seine Temperatur. Veto wird zu seinem Arzt begleitet. Der Internist erweckt bei dem jungen Studenten einen intelligenten, bescheidenen und ehrlich bemühten Eindruck. Knapp eine viertel Stunde schildert Veto seine Beschwerden, am Ende stellt der Arzt einige ergänzende Fragen, um einen allumfassenden Eindruck zu bekommen. Eine weitere viertel Stunde verbringt Veto mit Untersuchungen. Es wird ihm Blut abgenommen, er gibt eine Stuhlprobe ab. Veto fühlt sich gut aufgehoben in dem modern ausgestatteten Krankenhaus. Er weiß - und das beruhigt ihn - dass hier auch weitere Untersuchungen wie Endoskopien, mit deren Hilfe u.a. der Magen-Darm-Trakt untersucht wird, durchgeführt werden können.

Gesundheitsposten und Fernseher im Zimmer

Spitäler stellen nicht für alle Menschen in Äthiopien die erste Anlaufstelle dar. Das äthiopische Gesundheitsministerium hat im Rahmen des Health Extension Support Program Gesundheitsposten (Health Posts) eingeführt. Diese stellen eine Möglichkeit dar, auch die Einwohner entlegener Gebiete medizinisch zu versorgen. Die Health Posts bilden die erste Stufe des Gesundheitssystems. Gesundheitspersonal (Health Extension Workers), das eine einjährige, theoretische und praktische Ausbildung absolviert hat, wird in den einzelnen Gemeinden eingesetzt.

Im Mittelpunkt der Aufgaben steht die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (z.B. HIV/AIDS, Tuberkulose), Hygiene und Gesundheitspflege, sowie die Gesundheitserziehung und Aufklärung. Ziel des Programmes ist, 30 000 Health Extension Workers zu stationieren. Das Projekt schreitet voran, die Reaktion der Menschen in den kleinen Gemeinden ist positiv. USAID und UNICEF unterstützen das Programm und das äthiopische Gesundheitsministerium beschloss, jedem Health Post zwanzig weitere Hilfskräfte zur Verfügung zu stellen.

Patienten mit komplexeren gesundheitlichen Problemen, die hier wegen des Fehlens diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten nicht adäquat versorgt werden können, werden in ein Krankenhaus überwiesen. Kann eine Erkrankung wegen des Mangels an Möglichkeiten auch auf Ebene des Distriktkrankenhaus, das bereits über Labor und Operationssaal verfügt, nicht behandelt werden, wird der Patient in ein Regionalspital weitergeleitet. Hier werden PatientInnen auch in Fachabteilungen, wie Interne Medizin, Chirurgie, Gynäkologie und Geburtshilfe, sowie Psychiatrie behandelt.

Veto wurde für einige Tage im St. Gabriel aufgenommen, da eine Salmonellenvergiftung diagnostiziert wurde. „Natürlich wäre ich lieber wieder nach Hause gegangen. Wer bleibt schon gerne im Krankenhaus? Aber ich habe mich wirklich gut aufgehoben gefühlt. Ich hatte einen Fernseher am Zimmer und so ist die Zeit auch relativ schnell vergangen", beschreibt er die Zeit im Krankenhaus. Mrs. Aynalem hat großes Vertrauen in ihre Ärzte, nimmt jeden Rat dankbar an und befolgt ihn strikt. Sie wird im Federal Police Hospital kostenlos behandelt - ein Privileg, das sie genießt, da ihr Mann Polizist ist. Hier wird sie in akuten Fällen jeder Zeit behandelt, und wenn nötig auch stationär aufgenommen.

Dieser Artikel ist Teil des Projekts „Atelier Afrika". Dabei erstellen Studierende des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien gemeinsam mit Studierenden in Afrika Texte.

Alle Artikel unter: www.diepresse.com/kenako

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