Corona Briefing Tag 25

Heute lesen wir englisch, morgen werden wir grün, dazwischen lassen wir die Kirche im Dorf

APA/BARBARA GINDL
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Verlieren die populistischen Parteien in der Krise an Zuspruch? Ist die Globalisierung tot? Ein paar Thesen, was die Krise bewirken und ändern wird.

Guten Morgen! Die Wahrheit der umgangssprachlichen Formulierung „Es legt sich an.“ verspürt man dieser Tage. Dreieinhalb Wochen Lagerkoller, Zuversicht, Rückzug und endgültige Vermischung aus Arbeit und Privatleben legen sich an. Das spüren wir und werden wir uns lange merken. Dabei gilt es optimistisch zu bleiben, obwohl uns Experten warnen, dass unsere Aussicht auf Wiedereröffnung von Teilen des Landes nur temporär sein kann und wir möglicherweise nach der Methode „Zwei-Schritte-vor-einer-zurück“ vorgehen müssen. Oder noch schlimmer umgekehrt. Aber wie auch immer, heute darf ich Ihnen einmal die originale Aussendung der WHO zitieren, damit Sie nicht nur wie ich Netflix-Englisch konsumieren. (Das Ende der vierten Staffel von „Haus des Geldes“ ist gemein. Und, nein, das ist keine Kommunisten-Serie.)

Unter dem Titel „COVID-19: Where we stand today and what have we learned“, heißt es da unter anderem: „Dear Journalist, Statement to the press by Dr Hans Henri P. Kluge, WHO Regional Director for Europe: As of today, Europe remains very much at the centre of the pandemic – and on the one hand we have reason to be optimistic, and on the other to be very concerned. New confirmed cases continue to increase overall in the European Region. The total number of laboratory confirmed cases this morning was 687,236, including 52,824 people who have sadly passed away. (…) We are also seeing higher, or much higher than expected levels of mortality from all causes in some countries, (Italy, Spain, the UK, Belgium and Switzerland). (…) Governments across Europe have responded to COVID-19 using interventions that have imposed different degrees of restriction on the public, schools and workplaces. On the ground, we can see two main trends: Some of the countries with community transmission are starting to show signs of a decline in the rate of increase in new cases. (…) While other countries are experiencing a rapid increase in cases or a fresh surge.

Ten days after the implementation of broad public health and social measures, cases began to decline in Germany. Mortality rates and the median age of confirmed cases in Germany are lower than the average elsewhere. This is linked to a range of factors – including population demography and widespread testing. Further progress is being observed in some countries, including Austria, the Netherlands and Switzerland, with the number of cases increasing at a slower rate. We are alarmed that Turkey has seen a dramatic increase in virus spread over the last week. 60% of cases were reported from Istanbul. Cases in Israel, Ukraine, Belgium and Norway are still on the rise. And there is a fresh surge in Sweden.“ WHO-Chef Kluge warnte übrigens gestern auch: „Jetzt ist nicht die Zeit, um Maßnahmen zu entspannen. Wir haben noch einen weiten Weg in diesem Marathon vor uns.“ Wenn das einmal Sebastian Kurz liest.

Das ist übrigens nur eines von Hunderten Mails und Aussendungen, die uns täglich erreichen und Grundlage für die aktuelle Berichterstattung sind.

Wie angekündigt darf ich heute mit ein paar Thesen starten, was diese Krise bewirken und verändern wird. Und was nicht.

These 1. Die populistischen Parteien verlieren in der Krise massiv an Zuspruch. Ohne uns mit Populismus-Definitionen aufhalten zu wollen, halte ich das für völlig falsch. Zwar sinken die Umfragewerte mehr oder weniger populistischer Parteien am rechten und am linken Rand in fast allen Ländern, in Österreich etwa die der FPÖ. Der Zuspruch zu den Regierungsparteien ist möglicherweise im Auge des Orkans groß. Sieht man aber dann die Dimension der Spur der Verwüstung wird es für die Bürger schwieriger. Denn die Rückkehr in die Normalität wird vielen zu langsam gehen. Arbeits- und Perspektivenlosigkeit sind der ideale Nährboden für schlichte politische Parolen und Konzepte. Und für Österreich: Selbst Aufreger wie das Ibiza-Video oder Heinz-Christian Straches Spesen sind bereits wieder vergessen. Für die Wien-Wahl muss man angesichts bis zu einer Million Arbeitslose in Österreich sowohl mit der FPÖ als auch Heinz-Christian Straches Liste rechnen.

These 2. Die Globalisierung ist tot, es lebt Papa Staat. Das stimmt zum Teil, wir werden zum Schutz vor der aktuellen Covid-19-Welle und vor künftigen Pandemien wieder mehr im eigenen Land oder besser: in der eigenen Union produzieren müssen. Daher wird dies wohl auch staatlich vorgeschrieben werden. Industrie und Hightech werden weiterhin global geleitet und gemanagt werden müssen. Ob jeder Manager deswegen ständig zerknautscht wieder von Meeting zu Meeting fliegen wird müssen? Wäre schön, wenn nicht. Aber ich darf an dieser Stelle dem wirklich verehrten Kardinal Schönborn widersprechen – heute darf ich noch. Der hatte gemeint, man solle in Zukunft nicht mehr für ein Shoppingwochenende nach London fliegen. Stimmt, das muss keiner, aber verboten sollte es nicht sein. Wer dafür (mehr) zahlen will, soll es bitte dürfen. Was aber ganz sicher passieren wird: In vielen Ländern wird es Not-Verstaatlichungen geben, strauchelnde Firmen werden mit Staatsgeld aufgefangen werden oder um sie vor dem Verkauf an Käufer aus Übersee zu schützen. Und es gibt für alle eine Übersee. In Österreich macht man sich mit dem Hinweis nicht beliebt, dass der Staat in der Vergangenheit ein schlechterer Manager als Eigentümer war.

Erinnert sich eigentlich irgendwer noch daran, wie und was da eigentlich mit den Casinos war? Und was wird aus dem U-Ausschuss?

These 3. In der Krise ist das Geld abgeschafft. Falsch, wir werden es irgendwann zurückzahlen müssen. Mehrere LeserInnen wollten meine Meinung zur Erbschaftssteuer-Diskussion wissen. Kommt! Sie mailen, ich schreibe.

These 4. Es wird nun alles grün. Leider nein… Und dann beschreibe ich noch, welch dunkelgute Mächte hinter der Stopp-Corona-App stehen.

Eine Stelle aus der neuen „Zeit“ darf ich Ihnen noch schnell ans Herz legen: Marc Brost und unser Freund vom Philosophikum Lech Bernhard Pörksen widmen sich dem Journalismus in der Corona-Krise. „Auch für Journalisten ist diese Krise anders als jede zuvor. Sie ist schwieriger zu begreifen und viel emotionaler, weil sie jeden trifft, beruflich wie privat. Dramen und Krisen, die eskalieren – das ist die intensivste Zeit für Journalisten, und gleichzeitig fühlt man sich ohnmächtig, kann schlechter recherchieren, sehnt einfach das Ende der Krise herbei. Man sucht Halt und verliert ihn zugleich. Guter Journalismus ist so etwas wie die Kartografie der Lebenswirklichkeit. Aber wenn das Leben gerade ziemlich kompliziert geworden ist und die Gründe und Folgen der Krise so vielschichtig sind, dann ist es vor allem für politische Journalisten sehr einfach, sich auf ein Feld zurückzuziehen, auf dem sie sich auskennen – die Machtpolitik. Sie ist überschaubar, scheinbar eindeutig, und es gelten die vertrauten Maßstäbe. 'Geht’s Ihnen darum, als der härteste Corona-Bekämpfer wahrgenommen zu werden?', fragte Anne Will den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder in ihrer Sendung. Und sie wollte wissen, ob sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet 'nicht doch durchgesetzt' habe bei den Ausgangsbeschränkungen. ZDF-Moderatorin Maybrit Illner wollte in ihrer Sendung eine Stunde später Details von Laschet zum Streit mit Söder wissen. Als ob es an diesem Abend keine drängenderen Fragen gegeben hätte. Nur um nicht falsch verstanden zu werden: Nichts spricht dagegen, in einer unübersichtlichen Lage nach Konflikten zu fahnden. Aber die Metaphern von Wettkampf, Sieg oder Niederlage wirken gerade in dieser Krise zynisch, weil sie Politik als reines Machtspiel präsentieren.“

Und nur zwischendurch: Wenn man etwas zitiert oder teilt, heißt das nicht, dass man es genauso sieht, sondern interessant findet. Das vergisst man leicht.

Das war ein sehr langer Text frühmorgens, ich werde alt. Bis morgen!

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