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"Die EU ist in Gefahr": Warnungen vor einem Zerfall

Spaniens Ministerpräsident Sanchez hofft auf finanzielle Hilfe von den anderen EU-Mitgliedern.
Spaniens Ministerpräsident Sanchez hofft auf finanzielle Hilfe von den anderen EU-Mitgliedern.APA/AFP/POOL/MARISCAL
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Unter anderem die Ministerpräsidenten Italiens und Spaniens appellieren an die Solidarität der EU-Staaten. Ex-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sieht in der Coronakirse auch eine Chance.

In der Coronakrise mehren sich Warnungen vor dem Zerfall der Europäischen Union. Diese Gefahr sahen am Donnerstag nicht nur die Ministerpräsidenten Italiens und Spaniens, sondern auch EU-Kommissionsvize Frans Timmermans und der deutsche CDU-Politiker Friedrich Merz. Aus Sicht des früheren Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker könnte die Feuerprobe die EU aber auch stärken.

Seit Beginn der Pandemie hatten viele der 27 Staaten unabgestimmt und zulasten der Partner gehandelt. Deutsche Exportbeschränkungen für Schutzkleidung sorgten ebenso für Bitterkeit wie Grenzkontrollen, die Warenverkehr und Reisefreiheit im Binnenmarkt behindern. Dazu kommt der heftige Streit über Hilfen gegen die Wirtschaftskrise und mögliche Gemeinschaftsanleihen, sogenannte Coronabonds. "Die EU ist in Gefahr, wenn es keine Solidarität gibt", sagte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez im Parlament in Madrid. Spanien fordert gemeinsam mit Italien und anderen Ländern Corona-Bonds, die Österreich und andere Staaten ablehnen.

Conte: „Sonst müssen wir Europa abschreiben"

Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte äußerte sich ganz ähnlich. "Es ist eine große Herausforderung für die Existenz Europas und die Geschichte Europas", sagte Conte der britischen BBC. "Ich selbst und andere europäische Regierungschefs müssen dieser Herausforderung gerecht werden." Die Coronakrise stelle das italienische Wirtschaftsgefüge auf die Probe. "Deshalb brauchen wir eine wirtschaftliche und soziale Antwort auf europäischer Ebene." In "Bild live" hatte Conte zuvor schon gesagt: "Sonst müssen wir Europa abschreiben, und jeder macht sein Ding."

EU-Kommissionsvizepräsident Timmermans wies darauf hin, dass die Krise die südlichen EU-Länder besonders hart treffe, weshalb ein beispielloses Hilfspaket erforderlich sei. Die Flucht in nationale Interessen bedrohe das Überleben der EU, schrieb Timmermans in der Zeitung "de Volkskrant". Eine "soziale und wirtschaftliche Apokalypse" dürfe in keinem EU-Land zugelassen werden.

Merz: „Eurokrise nicht ausgschlossen"

CDU-Vorsitzkandidat Merz sieht die Gefahr ebenfalls. "Ein Scheitern Europas ist leider nicht ausgeschlossen. Eine zweite Eurokrise ist auch nicht ausgeschlossen", sagte er der "Rheinischen Post" (Donnerstag). "Deswegen müssen wir alles tun, um Europa zusammenzuhalten und eine zweite, noch tiefere Eurokrise zu vermeiden." Er unterstütze Hilfsprogramme, die "unsere europäische Solidarität erneut in dreistelliger Milliardenhöhe zeigen". Solidarität sei aber keine Einbahnstraße.

Der frühere Kommissionspräsident Juncker malte die Zukunft der EU nicht ganz so düster. "Wenn die Europäer ihren Völkern den Eindruck geben, dass sie es lieber sehen, wenn jeder für sich in seiner Ecke gräbt und sich dort verschanzt, dann besteht Gefahr für den europäischen Geist", sagte Juncker dem "Standard" (Donnerstag). "Aber es wäre jetzt die Kunst, das Gemeinsame als etwas Wertvolles zu sehen, nicht das Kleinkarierte."

Juncker bleibt optimistisch

Die Krise eröffne die Chance zu zeigen, dass Nationalstaaten alleine einer solchen Lage nicht Herr werden könnten. "Nach der Krise werden wir bessere Europäer sein", meinte Juncker. Seiner Nachfolgerin Ursula von der Leyen gab er den Rat, Ruhe zu bewahren und weiterführende Vorschläge zu machen. "Sie hat bis jetzt keine Fehler gemacht."

Bezüglich einer gemeinsamen Schuldenaufnahme von EU-Ländern in Krisenfällen zeigte sich Juncker aufgeschlossen. Für eine kurzfristige Antwort auf die Notlage wegen der Coronavirus-Krise seien sogenannte Corona-Bonds jedoch nicht geeignet. Es würde "Monate und Monate" brauchen, um die nötige Finanzarchitektur dafür aufzubauen, sagte er der französischen Tageszeitung "Libération" (Donnerstag). Juncker war von 2014 bis Ende November 2019 Präsident der EU-Kommission.

(APA/dpa)

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