Musik-Downloads: Aus für Gratis-Jukebox Internet?

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Regierungen und Labels sind unschlüssig, wie sie der Gratis-Jukebox Internet den Stecker ziehen sollen. Die einen wollen den Downloadern das Netz abdrehen, die anderen wollen sie zurückgewinnen.

Waidhofen, Gloggnitz, Gänserndorf. Der Terminplan von Anna F., dem jüngsten Shootingstar der heimischen Musikszene, war in diesem Frühling prall gefüllt. Auf ihrer Tour musste die 24-Jährige jedoch keine Stadien füllen, sondern lediglich die Foyers der Raiffeisenbank, die ihre letzte CD mitfinanziert hatte. Kooperationen wie diese sind die Zukunft der Musikindustrie, glaubt der Wiener Musikökonom Peter Tschmuck. „Die Frage, wer künftig für Musik bezahlen wird, ist offen“, sagt er. Der Konsument wird es in seinen Augen aber nicht sein. Stattdessen sollen Banken, Handyhersteller und Internetprovider in die Bresche springen und Kunden bald auch mit Gratismusik locken. Auch Philip Ginthör, Manager bei Sony Austria, glaubt nicht, dass „Kaufmusik noch eine Rolle spielen wird. Weder digital noch analog“. Der Mann weiß, wovon er spricht: Im vergangenen Jahr wurden in Österreich mit dem Verkauf von CDs, Platten und digitalen Musikstücken gerade noch 182 Mio. Euro verdient. Vor zehn Jahren waren es ganze 312,5 Mio. Euro.

Die Frage, wer die Schuld an sinkenden Absätzen trage, hatten die Plattenbosse damals schnell geklärt. Diebe, Internetpiraten, illegale Downloader klauten der Branche die Butter vom Brot, so der Vorwurf. Schließlich kam der Einbruch just in dem Moment, als mit Napster die erste erfolgreiche illegale Tauschbörse im Internet auftauchte. Die Entwicklung seither ist gigantisch. Musste man im Jahr 1999 tagelang auf einzelne Lieder aus den Tauschbörsen warten, landen heute komplette Diskografien sekundenschnell auf der Festplatte. Seit Jahresbeginn zählte der deutsche Bundesverband Musikindustrie über 163 Mio. illegale Downloads.


Paris verbannt Piraten. „Die Struktur der Musikindustrie ist längst im Auflösen begriffen. Den Downloader trifft daran keine Schuld“, sagt hingegen Felix Oberholzer-Gee. Der Harvardprofessor hat eine umstrittene Studie vorgelegt, mit der er nachweisen will, dass der illegale Download einzelner Songs keinen Einfluss auf deren kommerziellen Erfolg hat. Dem gegenüber steht die Tera-Studie, die im Auftrag der BASCAP, einer Abteilung der Internationalen Handelskammer, erstellt wurde. Ihr Urteil: Die Internetpiraten kosten Europa bis 2015 zwischen 600.000 und 1,2 Mio. Arbeitsplätze.

Dieses Schreckensszenario ruft die Regierungen Europas auf den Plan. In der Frage, wie sie mit Urheberrechtsverletzungen im Internet umgehen sollen, sind sie aber denkbar uneinig. In Frankreich heißt es seit knapp einem Jahr Vorsicht für Internetpiraten. Das umstrittene Hadopi-Gesetz sieht vor, illegale Downloader nach der dritten Verwarnung aus dem Internet zu verbannen. Doch der Erfolg ist dem sogenannte „Three strikes“-Modell nicht sicher. Erstens kursierten, schon lange bevor das heiß diskutierte Gesetz in Kraft trat, im Internet Anleitungen, wie man den staatlichen Schergen entgehen kann. Etwa durch die Flucht in einen VPN-Tunnel, durch den man anonym ins Internet gelangen kann. Zweitens wurden seit der Einführung des Gesetzes drei Prozent mehr Filme und Musik illegal gesaugt als vorher, so eine Studie der französischen Universität Rennes. Auch die Briten zählen zu den Hardlinern in Sachen Urheberrecht im Internet. Der kürzlich in Kraft getretene „Digital Economy Act“ sieht harte Strafen für Internetdiebe vor. Vorerst will die Regierung nur Warnbriefe verschicken, nächstes Jahr drohen Maßnahmen wie in Frankreich.

Brennstoff in Brüssel. Österreich will von einem „Three strikes“-Modell vorerst nichts wissen. Heimische Internetprovider weigern sich, Daten über das Downloadverhalten ihrer Kunden herauszugeben. Brennstoff für Österreichs Internetpiraten enthält aber ein Initiativbericht der französischen EU-Abgeordneten Marielle Gallo. Er soll die Volksvertreter in Brüssel auf eine härtere Gangart gegen Urheberrechtsverletzungen einschwören. Eine für kommende Woche angesetzte Abstimmung über den Gallo-Bericht wurde in den September verschoben. Findet dann eine Mehrheit der Abgeordneten Gefallen am Bericht, könnte die Gratisparty über kurz oder lang auch für heimische Downloader vorbei sein.

Eric Garland hält das für den falschen Weg. Seit 1999 verfolgt der US-Marktforscher Filesharing-Trends mit seiner Firma BigChampagne. Schon damals hätten die Plattenbosse falsch reagiert. Während Apple-Chef Steve Jobs 2001 mit iTunes den ersten funktionierenden Online-Musikhandel aufzog, klagten die „Big Five“ Universal, Sony, BMG, EMI und Warner gerade vier US-Studenten auf 98 Mio. Dollar Schadenersatz. Sie hatten eine Software geschrieben, die ihren Kommilitonen erlaubte, Lieder im Campusnetzwerk zu orten und auf ihre Festplatten zu kopieren.


Vom Dieb zum Kunden. Zähneknirschend sucht die Branche heute die Nähe zu Musikfans im Internet. Eine ganze Generation potenzieller Kunden, die den physischen Plattenkauf de facto nicht kennt, soll den Weg aus den illegalen Tauschbörsen hin zu den Plattenfirmen finden. Doch wer heute seine Lieder im Netz kauft, tut das – zumindest in den USA – eben bei Apple.

„Die Labels haben dazugelernt“, hofft Ginthör. Sie bieten nun Download-Dienste an. Sich selbst verkaufen sie zunehmend als Produzenten von Aufmerksamkeit. Geld wollen sie woanders verdienen. Etwa als Partner der Werbewirtschaft: Telekomfirmen wie Nokia oder Sony Ericsson und Internetprovider bieten ihre Dienste bereits im Paket mit Musikdownloads an (siehe Artikel rechts). Sie werden das Geschäft künftig stärker bestimmen, erwartet der Musikmanager. Labels werden zunehmend zu Rechteverwaltern und Zulieferern degradiert werden.


Der Download ist tot. Unterdessen wurde von weiten Teilen der Branche auch das Geschäft mit digitalen Downloads bereits totgesagt. Stattdessen sind es Internetradios wie Last.fm oder Streaming-Dienste wie Spotify, die Musik im Internet zu einem lukrativen Geschäft machen sollen. Der schwedische Dienst Spotify bietet „On-Demand-Streaming“ an, also die Möglichkeit, jeden beliebigen Song immer und überall über das Internet hören zu können.

Gratis natürlich. Die Künstler können sich trotz steigender Beliebtheit dieser Angebote nicht in finanzieller Sicherheit wiegen. Das Internet ist und bleibt ein Armenhaus für sie. Auf Last.fm muss ein Song 1,5 Mio. Mal im Monat gehört werden, damit der Musiker den US-Mindestlohn erhält, errechnet die Website „Information is beautiful“. Selbst Madonnas Lieder wurden nur 54 Mio. Mal abgespielt – über mehrere Jahre. Bei Spotify müsste das Lied gar 4,5 Mio. Mal gehört werden, um 1160 Dollar einzuspielen. Am besten steigt der Künstler aus, wenn er seine CDs selbst brennt und auch eigenhändig verkauft. Dann müsste er jeden Monat nur 143 Fans zum Kauf bewegen. Nicht einberechnet ist der immaterielle Vorteil für Künstler, wenn sie in der Gratis-Jukebox Internet auf- und abgespielt werden. Bands wie die Artic Monkeys sind Beispiele dafür, wie eine Fangemeinde aus dem Internet in bares Geld umgemünzt werden kann.

Ein Gegenmodell dazu ist die Idee einer Kultur-Flatrate, wie sie in Österreich etwa die Grünen propagieren. Gegen eine monatliche Gebühr von fünf bis zehn Euro sollen die Internetnutzer alles, was sie wollen, auf ihre Computer und Handys laden können. Die Einnahmen würden über Verwertungsgesellschaften zwischen Künstlern, Verlagen und Labels aufgeteilt werden. Mehrheitsfähig ist dieses Modell in Europa aber noch lange nicht.

Stattdessen streiten sich Regierungen zehn Jahre nach Napster immer noch darüber, wie sie mit Urheberrechtsverletzungen im Netz umgehen wollen. Und den Plattenlabels haben zehn Jahre nicht gereicht, um eine Antwort auf die Frage zu finden, wovon sie in Zukunft leben sollen. Der Harvardprofessor Oberholzer-Gee sieht all das gelassen. „Wer weiß“, sagt er, „in Zukunft wird Ihnen vielleicht sogar Ihr Vermieter seine Wohnung mit unlimitiertem Musikzugang anbieten.“

MySpace Music
myspace.com/music

Napster
napster.com

Spotify
spotify.com

Pandora Radio
pandora.com

Last FM
lastfm.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2010)

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