EU-Gipfel

Auftakt zum Gezerre um Coronahilfen

Die Coronakrise stärkt die autoritären Regierungen Polens und Ungarns (im Bild: die Ministerpräsidenten Morawiecki und Orbán). Sie erhalten mehr Geld, Kritik perlt ab
Die Coronakrise stärkt die autoritären Regierungen Polens und Ungarns (im Bild: die Ministerpräsidenten Morawiecki und Orbán). Sie erhalten mehr Geld, Kritik perlt abAPA/AFP/ATTILA KISBENEDEK
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Der Wiederaufbaufonds für Europas Wirtschaft droht zum Spielball der üblichen Begehrlichkeiten zu werden.

Brüssel. Die vierte Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs seit Ausbruch der Coronaseuche in Europa brachte keine revolutionäre Lösung für den Umgang mit der schwersten Depression in Friedenszeiten seit einem Jahrhundert. Soll es nur Hilfskredite geben, oder direkte Zuschüsse für die nationalen Haushalte besonders hart betroffener Staaten, die durch gemeinsame Anleihen finanziert werden? Dieser ordnungspolitische Glaubensstreit entzweit weiterhin Nord- und Südeuropa. „Es braucht echte Transfers für die besonders hart getroffenen Regionen und Branchen, nicht nur Kredite“, sagte Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, nach dem virtuellen Europäischen Rat, der nur etwas länger als vier Stunden dauerte. „Ich sage es ganz offen: wenn für die ohnehin geschwächten Staaten nur neue Kredite dazukommen, würde das Problem nicht gelöst. Darüber gab es heute keinen Konsens. Und unser gemeinsames Europa hat keine Zukunft, wenn wir darauf keine Antwort finden.“ Mark Rutte, der niederländische Ministerpräsident und Wortführer der „Sparsamen Vier“ (mit Österreich, Dänemark, Schweden) erklärte hingegen: Transfers könne es nur im Rahmen des EU-Budgets geben, wie bisher. Alle neue Hilfe darüber hinaus könne nur die Form von Krediten.

Immerhin gab es keine Einwände gegen das, was in den sieben Wochen der Krise bereits beschlossen wurde: 100 Milliarden Euro Kredithilfen für nationale Kurzarbeitssysteme (unter dem Slogan „Sure“), 200 Milliarden Euro neue Kreditlinien der Europäischen Investitionsbank, um Unternehmen zu stützen, weitere bis zu 240 Milliarden Euro vom Euro-Rettungsschirm ESM zur Stützung nationaler Gesundheitssysteme und zur Deckung anderer unmittelbar durch die Seuche verursachter medizinischer Ausgaben. Dazu die maximale Lockerung des Staatsbeihilferechts, die Freimachung von 37 Milliarden Euro Kohäsionsförderungen, die sonst verfallen wären, die Aussetzung der Defizitregeln und das 750 Milliarden Euro umfassende Programm der Europäischen Zentralbank, Staatsanleihen aufzukaufen und somit die Zinssätze niedrig zu halten.

Zielgröße 300 Milliarden Euro

Doch ein Schlüsselstück in diesem Programm fehlt: der Wiederaufbaufonds, auf den sich die Finanzminister der Eurogruppe dem Grunde nach geeinigt hatten. Wie groß er sein soll, aus was er gespeist wird und ob er bloß Kredite oder auch nicht rückzahlbare Zuschüsse leisten können soll: All das ist offen, und die EU-Chefs ließen diese Fragen bewusst offen. Juni ist das Zieldatum. „Am 1. Juni muss das einsatzbereit sein“, mahnte Macron.

Eine Größenordnung für diesen Geldtopf lässt sich aus jenem Entwurfspapier der Europäischen Kommission ablesen, über welches „Die Presse“ in ihrer Donnerstagsausgabe berichtete. 300 Milliarden Euro, und zwar als Teil des Mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027. Zu diesem Zweck müsste dessen Obergrenze zumindest zeitweilig von rund einem auf zwei Prozent erhöht. Ob das reichen wird, ist fraglich. Wenn die Rezession heuer im Schnitt rund acht Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt, wird das einen Schaden von mindestens 1,5 Billionen Euro verursachen. „Wir reden nicht von Milliarden, sondern von Billionen“, wiederholte von der Leyen das, was sie schon vorige Woche gesagt hatte. Genaue Zahlen nannte sie nicht.

Doch muss ein gemeinsames europäisches Instrument zur Bewältigung dieser Rezession auch diese Größenordnung haben? Das fragen sich vor allem die „Sparsamen Vier“. „Zur Solidarität gehört aber auch, andere Länder fragen zu können: was werdet Ihr machen, um nächstes Mal in einer stärkeren Position zu sein, damit es nicht notwendig sein wird, darum zu bitten“, sagte Rutte.

Und soll der Fonds Teil des Unionsbudgets sein oder außerhalb davon errichtet werden? Das hat tiefe politische Bedeutung. Vereinfacht gesagt sind all jene Nettoempfänger, die viele EU-Förderungen lukrieren, dafür, dass der Wiederaufbaufonds Teil des gemeinsamen Haushaltes wird. Denn davon erhoffen sie sich den Zugriff auf weitere Mittel auf Basis der herkömmlichen Kriterien, allen voran der Wohlstand pro Kopf. Das würde zu der paradoxen Situation führen, dass Ungarn und Polen, die sich brüsten, von der Coronapandemie (bisher) ziemlich verschont worden zu sein, zu den Hauptnutznießern dieses neuen Brüsseler Geldsegens würden – auf Kosten von Italien und Spanien, die von der Seuche am härtesten getroffen wurden. Kein Wunder also, dass Polens Regierung den Fonds in den Finanzrahmen einbauen will – aber, wie ein polnischer Diplomat betont, nicht auf Kosten der Kohäsion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2020)

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