Es ist das Ende einer Epoche. Armstrong ist am 4. Juli ausgezogen, um die „Große Schleife“ ein achtes Mal zu gewinnen. Doch der 13. Start in Frankreich scheint so gar nicht vom Glück verfolgt.
Morzine. Mitten im spanischen WM-Freudentaumel fand die Sportzeitung „Marca“ Zeit, sich der Tour de France zu widmen. Das alleine ist Beweis genug für den Stellenwert, den das Ergebnis der achten Etappe der Frankreich-Rundfahrt in der Radsport-Geschichte einnimmt. „Das war Armstrongs Begräbnis“ – mit diesen Worten bedachte die „Marca“ den Absturz des siebenfachen Gewinners der Tour de France auf der achten Etappe am Sonntag.
Es ist das Ende einer Epoche. Armstrong ist am 4.Juli ausgezogen um die „Große Schleife“ ein achtes Mal zu gewinnen. Doch der 13.Start in Frankreich scheint so gar nicht vom Glück verfolgt. Drei Stürze auf der ersten schweren Alpenetappe und zwölf verlorene Minuten auf den Träger des Gelben Trikots, Cadel Evans (BMC), Titelverteidiger Alberto Contador (Astana) sowie Tagessieger Andy Schleck (Saxo Bank). Letzterer verpasste Armstrong die Höchststrafe: „Wenn ich ehrlich bin, tut er mir sogar ein bisschen leid.“
Bei der Zielankunft in Morzine-Avoriaz gab sich Armstrong noch ganz als der unnahbare Superstar, der er immer war. Trotz seines lädierten Körpers, trotz seines zerfetzten Trikots. Umzingelt von Unmengen an Journalisten und geschützt durch unzählige Bodyguards analysierte er kurz die größte Demütigung seiner Tour-Karriere. „Das war ein ganz schwarzer Tag. Die Tour ist jetzt für mich zu Ende. Ich werde nicht mehr wiederkommen.“ Es ist sein letzter Rückzug auf Raten: „Nun versuche ich, die letzten Tage in Frankreich zu genießen.“
„Aus sportlicher Perspektive müsste ich also als Sieger aus dem Rennen hervorgehen“, sagte der 39-jährige US-Amerikaner noch Anfang Juli. Nach einer Woche im Sattel ist Armstrong drauf und dran, sein eigenes Denkmal zu stürzen.
Als er 2009 nach dreieinhalb Jahren sportlicher Frühpension wieder in den Profizirkus zurückkehrte und bei der Tour de France Platz drei belegte, mussten seine Kritiker noch klein beigeben. Nun muss sogar der verbissene Perfektionist aus Texas sein Scheitern eingestehen.
Erste Kräfte musste Armstrong am Sonntag schon nach 15 Kilometern lassen, rund 123 Kilometer später stürzte er in einem Kreisverkehr. Alle Willenskraft erlosch nach dem dritten Abstieg auf dem vorletzten Gipfel von Les Gets. „Hier hat er sich ergeben. Es ging nichts mehr“, sagte sein RadioShack-Teamchef Johan Bruyneel.
Fehlende Leidensfähigkeit
Unkonzentriertheit, Stürze, fehlende Leidensfähigkeit – das sind die Eigenschaften, die man von Armstrongs Konkurrenten, nicht aber von ihm selbst kennt.
Ein Grund dafür dürften die nicht enden wollenden Dopinggerüchte rund um Armstrong sein. Er selbst hat jegliches Fehlverhalten immer dementiert. Aber sein Ex-Teamkollege Floyd Landis wusste vor wenigen Wochen von organisierten Dopingpraktiken in Armstrongs ehemaligem Team US Postal zu berichten. Die daraus resultierenden Ermittlungen von Jeff Novitzky sind nicht spurlos an Armstrong vorübergegangen. Derzeit ist der US-Dopingjäger mit Armstrongs ehemaligen Edelhelfern Tyler Hamilton und George Hincapie in Kontakt. Auch die beiden sind bereit, gegen den Superstar auszusagen. Lance Armstrong ist nicht der Einzige, der seine Demontage vorantreibt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2010)