Der ökonomische Blick

Schweden in der Corona-Krise: Ein holpriger Sonderweg?

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SWEDEN-HEALTH-VIRUSAPA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND
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Jede Woche präsentiert die „Nationalökonomische Gesellschaft“ in Kooperation mit der „Presse“ aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen. Heute: Jörg Paetzold und Hannes Winner über wirtschaftliche Folgen in Schweden.

In der Corona-Krise hat Schweden die internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Während fast alle Länder – auch Österreich – auf gesetzlich verordnete Maßnahmen des social distancing gesetzt haben („Lockdown“), blieben in Schweden Schulen, Restaurants oder Freizeiteinrichtungen weitgehend geöffnet. Eine höhere Durchseuchung und ein stärkerer Anstieg der Mortalität wurden scheinbar in Kauf genommen hat, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden der Krise zu minimieren. Während jedoch die gesundheitlichen Auswirkungen des „schwedischen Wegs“ immer deutlicher werden – steigende Fallzahlen und eine deutlich höhere Übersterblichkeit, sind die wirtschaftliche Folgen bis dato weniger gesichert.

Der Blick auf die skandinavischen Nachbarn

Das geringste Zeitintervall für gesamtwirtschaftliche Kennzahlen ist üblicherweise das Quartal. Daher lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise kaum valide abschätzen. Die Statistikbehörden der skandinavischen Länder haben jedoch schnell reagiert und in den letzten Wochen tagesaktuelle Arbeitslosenzahlen veröffentlicht. Daher lässt sich anhand von höher frequenten Daten die Entwicklung der schwedischen Arbeitslosigkeit mit jener seiner skandinavischen Nachbarn vergleichen. Diese Gegenüberstellung ist aus mehreren Gründen naheliegend: Die Epidemie trat in allen skandinavischen Ländern nahezu zeitgleich auf und sie nahm auch eine ähnliche Entwicklung (die ersten 100 Covid-19 Fälle sind in Finnland am 9. März, und in Dänemark, Norwegen und Schweden am 10. März zu verzeichnen). Es handelt es sich durchwegs um kleine offene Volkswirtschaften, deren wirtschaftliche Entwicklung stark von der internationalen Konjunktur abhängen. In allen Ländern wurde in der Krise das Instrument der Kurzarbeit eingesetzt, wobei die Konditionen ähnlich waren. Schließlich unterscheiden sich die Bevölkerungsstrukturen und Gesundheitssysteme der vier Nachbarn nur unwesentlich.

„Der ökonomische Blick“ ist ein Blog, der aktuelle Themen aus der Sicht von Ökonomen behandelt. Er entsteht in Kooperation mit der Nationalökonomischen Gesellschaft (NoeG) und der Presse. Jeden Montag erscheint eine neue Ausgabe. Mehr: diepresse.com/oekonomischerblick

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Die Entwicklung des Arbeitsmarktes

Die nachfolgende Abbildung zeigt für Dänemark und Schweden die Anzahl der neuen Arbeitssuchenden in den ersten 19 Wochen des Jahres 2020, und setzt diese zu den entsprechenden Durchschnittswerten der Vorjahre in Beziehung. Drei Besonderheiten stechen ins Auge: Erstens bewegen sich bis zur Krise die Arbeitsmärkte der beiden Länder nahezu im Einklang. Zweitens steigt in Dänemark die Zahl der neuen Arbeitssuchenden um den Zeitpunkt des Lockdown am 10. März drastisch an. Am Höhepunkt (Mitte März) beträgt dieser das 3,5-fache der sonst üblichen Arbeitslosigkeit in dieser Woche. In Schweden tritt dieser Effekt verzögert auf, wobei der Ausschlag etwas unter jenem Dänemarks bleibt. Unmittelbar danach sinkt die Arbeitslosigkeit in beiden Ländern, wobei sich, drittens, die Anzahl der neuen Arbeitssuchenden in Schweden auf einem höheren Niveau stabilisiert.

Insgesamt scheint es Schweden bisher nicht gelungen zu sein, sich der negativen wirtschaftlichen Konsequenzen der Epidemie zu entziehen. Ein möglicher Grund könnte in der internationalen Verflechtung des Landes liegen. Wie alle skandinavischen Länder ist Schweden stark außenhandelsorientiert und daher von internationalen Wertschöpfungsketten abhängig, die durch die Pandemie weitgehend zum Erliegen gekommen sind. Aber auch die Binnennachfrage der beiden Länder verlief ähnlich. Dieses Bild wird durch eine aktuelle Studie der Universität Kopenhagen untermauert, welche Kontobewegungen von knapp einer Mio. DänInnen und SchwedInnen untersucht hat. Die Autoren stellten einen Rückgang der Konsumausgaben von 25 Prozent (Schweden) bzw. 29 Prozent (Dänemark) fest. Die Autoren argumentieren, dass der um 4 Prozentpunkte (bzw. um 15 Prozent) größere Rückgang in Dänemark die kausale Folge der gesetzlich verordneten Restriktionen ist. Der geringe Unterschied deutet darauf hin, dass die Gefahr einer Ansteckung auch in Schweden zu einem weitreichenden freiwilligen social distancing geführt hat, mit der Folge, dass auch hier die Konsumausgaben stark zurückgefahren wurden.

Unklare langfristige Folgen

Die COVID-19 Epidemie entwickelte sich in einer beispiellosen Geschwindigkeit zu einer dramatischen Weltwirtschaftskrise, und die hier diskutierten Daten bieten nur eine Momentaufnahme. Auf Grundlage der vorliegenden Informationen lässt sich festhalten, dass drastisch unterschiedliche Lockdown-Maßnahmen nur einen kleinen Unterschied in der wirtschaftlichen Entwicklung ausmachen.* Ob sich die skandinavischen Nachbarn nach dem Ende des Lockdown wirtschaftlich schneller erholen als Schweden, oder Schweden dank fortschreitender Durchseuchung eine mögliche zweite Welle erspart bleibt, ist Spekulation und lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten.

Die Autoren

Hannes Winner ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Salzburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Finanzwissenschaft, Gesundheitsökonomik und angewandte Ökonometrie.

Jörg Paetzold ist assoziierter Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Salzburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Finanzwissenschaft, Arbeitsmarkt- und Gesundheitsökonomik.

* Daten zur Abschätzung der krisenbedingten Folgen für das öffentliche Haushaltsdefizit (z.B. Steuerschätzungen) liegen noch nicht im notwendigen Umfang vor. Ebenso liegen noch keine vergleichbaren Zahlen für die den Staatshaushalt belastende Kurzarbeit vor (diese steckt, ähnlich zu Österreich, meist noch in der Bearbeitung). Eine Einschätzung der fiskalischen Folgen der unterschiedlichen Strategien zur Epidemiebekämpfung ist daher noch nicht möglich.

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