Andy Schleck: „Werde mit der Wut im Bauch fahren“

(c) AP (Bas Czerwinski)
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Andy Schleck musste sein Gelbes Trikot bei der Tour de France an Alberto Contador abgeben. Der Spanier profitierte von einer Panne des Luxemburgers Schleck, seine Kette verhakte sich.

Bagnères-de-luchon. Bei den großen Radrundfahrten dieser Welt gehört es unter den Favoriten zum guten Ton, technische Defekte der Konkurrenz nicht auszunützen. Als würdiger Rundfahrtsieger gilt es im Fall des Falles Größe zu beweisen, das Tempo zu drosseln und zu warten, bis der Konkurrent wieder Anschluss gefunden hat.

Alberto Contador, grundsätzlich kein großer Sympathieträger vor dem Herren, hatte auf der fünfzehnten Etappe der Tour de France die Chance, sich als fairer Sportsmann zu präsentieren. Der spanische Titelverteidiger vom Team Astana hat sich, ohne mit der Wimper zu zucken, entschieden, dies nicht zu tun. Und steht heute in Bagnères-de-Luchon erstmals in diesem Jahr im Gelben Trikot am Start, mit acht Sekunden Vorsprung auf seinen größten Konkurrenten Andy Schleck.

Der Saxo-Bank-Fahrer war der tragische Held des Tages. Lange Zeit sah es so aus, als würden Schleck und Contador ihr Katz-und-Maus-Spiel der vergangen Tage auch auf der 187,5 Kilometer langen Etappe fortführen. Aber auf dem Anstieg zum Port de Balès, einem Berg der höchsten Kategorie, fasste sich der 25-jährige Schleck ein Herz, überraschte Contador und ließ ihn förmlich stehen. Der 27-jährige Spanier konnte nicht mitziehen. Meter um Meter legte Schleck zwischen sich und seine Verfolger.

Ohne Rücksicht auf Verluste

Doch Schleck kam von einer Sekunde auf die andere zum Stillstand. Seine Kette hatte sich verhakt, der Luxemburger musste absteigen und den Defekt beheben. Contador witterte seine Chance. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne einen Gedanken an Fairness zu verschwenden zog er an Schleck vorbei und gab bis ins Ziel Vollgas.

Schleck stürzte sich mit vollen Risiko in die kilometerlange Abfahrt, am Ende hatte er 38 Sekunden Rückstand auf Contador und das „maillot jaune“ verloren. „Ich habe versucht, die Kette so schnell wie möglich wieder raufzulegen. Ich bin eine gute Abfahrt gefahren, aber allein hatte ich keine Chance“, sagte Schleck im Ziel.

Schleck schwörte wütend Rache. Chancen zurückzuschlagen hat er genug, wenn es heute (11.30 Uhr, live Eurosport) und am Mittwoch über bzw. auf den 2115 Meter hohen Col du Tourmalet geht. „Ich werde jetzt nicht verzweifeln und Tränen vergießen“, sagte Schleck. „Ich werde mit der Wut im Bauch fahren und meine Revanche bekommen.“ Schleck, der nun im Weißen Trikot des besten Jungprofis fährt, fügte hinzu: „Es ist noch nicht vorbei. Diese Etappe motiviert mich umso mehr.“

Contador versuchte im Ziel sein Vorgehen zu erklären: „Als ich attackierte, habe ich von einem Defekt nichts mitbekommen.“ Sein Teamkollege Alexander Winokurow, der als einziger Schlecks Antritt folgen konnte, bemerkte die Probleme sehr wohl. Er drosselte das Tempo, als Schleck langsamer wurde. Und Contador: Er zog an Freund und Feind vorbei.

Vorentscheidung?

Gut möglich, dass die fragwürdige Attacke schon die Vorentscheidung in der Gesamtwertung bedeutet. In den Bergen steht Contador Schleck leistungstechnisch um nichts nach. Doch der Luxemburger musste bei der Aufholjagd einige Körner lassen. Und im Zeitfahren, das am Samstag auf dem Programm steht, gilt der Spanier als der weitaus stärkere Fahrer.

Sollte sich Contador am Sonntag auf den Champs-Élysées das finale Gelbe Trikot überstreifen dürfen und es auch nicht mehr hergeben müssen, darf er sich zwar dreifacher Tour-de-France-Sieger nennen, großer Sportsmann ist er aber keiner.

("Die Presse" Printausgabe vom 20. Juli 2010)

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