Gladiatoren der guten Laune

Siebenmal Sommer: Ein Schuss Exotik, die richtige Dosis Naivität und natürlich ein flacher Bauch  – was der perfekte Sommerhit-Interpret so alles braucht.

Die schöne Jahreszeit weiß die Gehörsensibilitäten veritabel zu verändern. Nicht selten rätselt man im nebeligen November, was einen an diesem oder jenem wuseligen Sommerhit so fasziniert hat. Bringt aber der nächste Frühling das Blut wieder in Wallung, kommen auch all die Reminiszenzen wieder, und der musikalische Forschergeist lechzt wieder nach flächigen Arrangements und muskulösen Sängern, die sich weit nach hinten biegen, um den Tönen eine bessere Absprungbasis zu geben. Sommerhits haben nie viel Kalorien, deshalb tragen die Sänger nie, aber auch wirklich nie, Bauch. Wäre auch ein Hindernis, beim Verführungswerk, das mal federleicht schwermütig, dann wieder brutal übermütig exekutiert wird. Das zwingt die Interpreten zu manch Balanceakt. In den meist erotisch aufgeladenen Texten müssen eheliche und außereheliche Kraftproben mit Feinsinn in Schwebe gehalten werden. Das erfordert vom idealen Sommerhitsänger, zugleich viril und sensitiv zu sein, schließlich darf ein Sommerhit alles, nur nicht die Seele zerschinden.

Exotik ist hilfreich

Der Sommerhit als ein fröhlich hingepinseltes Rufzeichen verlängerter Kindheit erfordert von seinem Interpreten aber auch das rechte Maß an Naivität, will der Entertainer das innere Kind in ältlichen Bissgurn und adipösen Grantscherben wecken. Eine wunderbare Brücke zu unbeschwerteren Seelenteilen in vom Existenzkampf zerbeulten Menschen sind rätselhafte Worte aus
anderen Sprachen. Ein herzliches „Yeke
Yeke“ oder ein aufmunterndes „Pata Pata“ sind alles mundfeine Strategien, um unkonzentrierte Hörer zu  traumverhangenen Wesen umzurüsten, die bereit für Abenteuer auf fremden Kontinenten sind. Hilfreich könnte sein, wenn der Sommerhitsänger einen exotischen Touch aufweist, zumindestens muss er eine Aura des Uneigentlichen verströmen. Er muss Fabelwesen sein, und dennoch erotisch begehrenswert sein. Anforderungen also, wie sie das Arbeitsmarktservice nicht tückischer aushecken könnte.

Ganz wesentlich für Sommerhit-Interpreten ist Unerschrockenheit. Hat man nämlich so einen Saisonhit mal lanciert, dann gilt es die Welle der Begeisterung auszunützen und in jedem Club Méditerranée, in jeder Dorfdisco zu performen. Lampenfieber darf sich dabei keines unter der Fönwelle stauen. Und falls ja, muss man sich das Motto von Scissor-Sisters-Schlagzeuger Paddy Boom zu eigen machen: „Auf die Bühne zu gehen ist immer beängstigend, aber glücklicherweise haben wir dort immer was zu tun.“ Unabdingbar sind flexible Glieder, die zu abenteuerlichen Verrenkungen fähig sind. Richtige Sommerhits lösen nämlich nicht selten auch einen saisonalen Dancecraze wie einst „Lambada“ und „Macarena“ aus. Den in langwierigen Laborstudien entwickelten, stets ein wenig abwegig-lasziven Tanz muss der perfekte Sommerhitsänger auch in hochpromillig aufgeputschtem Zustand jederzeit makellos beherrschen.

Farben des Sonnenuntergangs punkten


Ein paar Gläschen gönnt man jedem dieser neuzeitlichen Gladiatoren der guten Laune. Sie sind nötig, um die unsichtbare Barriere zwischen Auditorium und Bühne zu überwinden, um die jeweils aktuelle Serenade stilecht abzusetzen. Den Dresscode der Vokalisten zu definieren ist schwer, weil Sommerhit-Interpreten aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen kommen. Sicher ist, dass man mit den Farben des Sonnenuntergangs punkten kann. Erfahrene Crooner attackieren in azurblauen Ziegenlederjacken und in orangeroten Beinkleidern mit angenähtem Fake-Unterhosengummi. Erblicken sie dann die glasigen Augen ihrer Fans, winken Profis mit purpurfarbenen Tüchlein, um klarzumachen, dass es sich um sehr privilegierten Zauber handelt, dem der
Hörer hier zuteilwird. Ist man als Hörer dazu verdammt, dem Sommerhit im schnöden Büro via Radio lauschen zu müssen, dann sei davor gewarnt, den von Trübsal über-
fluteten Kopf auf die Schreibtischplatte zu wuchten. Sommerhitsänger sind wie Glühwürmchen. Sie haben zwar ein prächtiges, dafür aber nur kurzes Leben.

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