Die Gründung Wiens ist in vielen Details weiterhin ungeklärt. Eines ist jedenfalls sicher: Es ist eine äußerst spannende Geschichte.
In jahrzehntelanger Arbeit haben Forscher viel Licht in die Geschichte Wiens gebracht. In einem Punkt ist man allerdings nicht wirklich weitergekommen: Die Gründung Wiens liegt weiterhin im Dunkeln. Eine der Hauptursachen nennt die Wiener Stadtarchäologin Karin Fischer Ausserer in dem lesenswerten Konferenzband „Europäische Städte im Mittelalter“: Wegen der dichten Bebauung könne man kaum systematische Grabungen, sondern de facto nur Rettungsgrabungen im Zuge von Bauarbeiten durchführen. Dazu komme, dass die mittelalterlichen Bodenschichten durch die weitläufigen Keller stark gestört sind – die tiefer gelegenen römischen Bodendenkmale seien dagegen größtenteils erhalten.
Mangels Funden ist es daher ungeklärt, ob es eine Siedlungskontinuität im Frühmittelalter gab – also, ob in den Ruinen der Römerstadt Vindobona (die um 400 zerstört wurde) ständig Menschen wohnten, oder ob sie für einige Jahrhunderte verlassen waren. Klare Siedlungsspuren gibt es erst im neunten und zehnten Jahrhundert (etwa bei der Ruprechtskirche), und dann kontinuierlich ab dem elften Jahrhundert, als sich die politische Lage nach dem Sieg über die Ungarn wieder stabilisiert hat.
Ein zentrales Datum für den Ursprung Wiens ist laut Ferdinand Opll, Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs und Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Stadtgeschichtsforschung, das Jahr 1137: Mit einem Vertrag mit dem Bischof von Passau kamen große Teile des späteren Stadtgebiets in die Hände der Babenberger – im Tausch gegen die Pfarre St. Peter. Im selben Jahr noch wurde auch die Ausrichtung des Stephansdoms festgelegt (außerhalb der Römerstadt, an der Stelle einer älteren Stephanskirche). Und – das Entscheidende: Vieles weise darauf hin, so Opll, dass gleichzeitig die Absteckung der künftigen Großstadt erfolgte. Nach antiker Tradition wurde ein Pfahl („groma“) im Zentrum – beim Westportal von St. Stephan – in den Boden gerammt, von dort aus wurden die vier Achsen zu den späteren Stadttoren festgelegt.
Wien war freilich schon damals anders: Da gen Westen die Mauern der bestehenden Siedlung die Sicht verstellten, wurde diese Richtung vom heutigen Stock-im-Eisen-Platz aus vermessen. Dieses abgesteckte Areal war noch lange unbebaut, es sollte erst mit dem Aufschwung in den nächsten 100, 150Jahren ausgefüllt werden. Und ab 1190 auch eine Stadtmauer erhalten – unter anderem aus dem Lösegeld für Richard Löwenherz.
F. Opll, Chr. Sonnlechner (Hg.): Europäische Städte im Mittelalter. 407 Seiten, 44,90 € (Studien Verlag).
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2010)