WikiLeaks: Mission Aufklärung

WikiLeaks Mission Aufklaerung
WikiLeaks Mission Aufklaerung(c) Www.BilderBox.com
  • Drucken

Wie funktioniert WikiLeaks? Daniel Schmitt von den Internetaufdeckern, die eben einen Coup mit Dokumenten über den Afghanistan-Krieg landeten, erzählt. Die Finanzierung läuft auf Spendenbasis.

Nennen wir ihn Daniel Schmitt. So nennt er sich zumindest selbst – und gibt gleichzeitig zu, dass es ein Deckname sei. Wobei ihm dieses Wort etwas zu geheimdienstlich klingt. „Künstlername“ ist ihm da schon sympathischer. Doch was hilft ein falscher Name, wenn man für eine Organisation arbeitet, die von der US-Regierung als „Bedrohung der nationalen Sicherheit“ eingestuft wurde und für die sich unter anderem die CIA interessiert?

„Wenig“, das räumt Schmitt auch sofort ein. Er ist eines von zwei Gesichtern, das die Internetplattform WikiLeaks der Öffentlichkeit bietet. Das andere ist der mittlerweile berühmte Gründer der Plattform, der Australier Julian Assange. Ihre Mission: Aufklärung. Ihre Methode: brisante Dokumente, von Insidern zugespielt, zu veröffentlichen. Diese Woche landete WikiLeaks den ganz großen Coup: Auf einen Schlag machte die Plattform 91.713 geheime Dokumente über den Krieg in Afghanistan zugänglich: Berichte über Einsätze, Lagebeurteilungen der Geheimdienste und dergleichen. Das Entsetzen vor allem in Washington war entsprechend groß, fieberhaft wird nun nach dem oder den Lecks gesucht.


Nur ein anonymes Postfach. Damit WikiLeaks nicht unabsichtlich selbst seine Quellen ans Messer liefert, gibt es eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen: „Leute, die viel in der Öffentlichkeit stehen, wie Julian Assange oder ich, haben wenig mit Informanten zu tun“, sagt Schmitt – Informanten, denen es ermöglicht wird, völlig anonym zu bleiben. Es ist ja paradox: Eine Internetplattform, deren Existenzzweck die Offenlegung von Geheimnissen ist, muss selbst konspirative Methoden anwenden, um diesen Zweck erfüllen zu können. Auf technischem Gebiet, aber auch ganz real: Es gibt zwar ein Telefon für Presseanfragen, aber kein Hauptquartier. Laut dem „Spiegel“, der mit WikiLeaks bei den Afghanistan-Papieren eng zusammenarbeitete, gibt es nur ein anonymes Postfach in Melbourne. Informanten erfahren auf wikileaks.org, was sie tun müssen.

„Wir haben ein Interesse, auch selbst transparent zu sein und arbeiten daran Schritt für Schritt“, betont Schmitt. Ende des Jahres soll etwa ein erster Finanzbericht herausgegeben werden, in dem auch über die Verwendung von Spendengeldern Rechenschaft abgelegt wird. „Es gibt aber Teile, die müssen intransparent bleiben.“ Das betreffe etwa den Bereich jener Leute, die mit sensitiven Informationen arbeiteten. Durch die dezentrale Organisationsstruktur und die technischen Möglichkeiten des Internets versucht WikiLeaks auch, die unterschiedlichen Gesetze etwa beim Informantenschutz optimal auszunützen. Die Server sind auf mehrere Länder verteilt. Paragrafen à la carte gewissermaßen.

Von den Bemühungen der Geheimdienste und Behörden, WikiLeaks in den Griff zu kriegen, bekomme er in der täglichen Arbeit wenig mit, sagt Schmitt. Bei Julian Assange ist das schon anders. Er sah sich mehrfach gezwungen, seine Reisepläne aus Sicherheitsgründen zu ändern und wechselt regelmäßig seinen Aufenthaltsort.

Die Philosophie von WikiLeaks klingt bestechend einfach: „In einer komplexen Welt kann nur solide Information eine Grundlage für Entscheidungen sein“, sagt Schmitt, wie aus einer Werbebroschüre zitierend. Informieren, aufdecken, aufklären – klingt nach Journalismus. Ist WikiLeaks traditionellen Medien überlegen? Das will Schmitt zunächst so nicht sagen. Keine Minute später sagt er es dann doch: „Wir sind überlegen, was das Beschaffen von Quellen angeht.“ Was so eigentlich nicht stimmt. Denn nicht WikiLeaks ist es, das sich die Quellen beschafft, sondern die Quellen sind es, die sich eine Plattform zur Veröffentlichung beschaffen. Und da ist das 2007 gegründete WikiLeaks im Vergleich zu etablierten Aufdeckmedien ein Newcomer – und eher langsam. Der Plattform werden so viele Dokumente zugetragen, dass es bereits beträchtlichen Rückstau gibt – denn einmal nicht sorgfältig geprüft, und der Ruf ist ruiniert. Warum also wendet sich ein Informant an WikiLeaks, wenn ihm etwa Seymour Hersh oder „Der Spiegel“ die schnellere Story bringen könnten?


Fragen der Sicherheit. Wenn jemand Informationsware anzubieten hat, müsse er einige Fragen klären, meint Schmitt: Wem spiele ich das zu? Was für eine Richtung hat die betreffende Zeitung? Und: Liegt die Veröffentlichung in ihrem Interesse? Schließlich die Fragen der Sicherheit, gerade in Ländern mit schwachem Informantenschutz: Kann ich meinen Kontaktleuten bei der Zeitung vertrauen? Der entscheidende Startvorteil von WikiLeaks liegt für Schmitt darin, dass die Plattform „ausschließlich für diesen Zweck existiere: geheime Dokumente öffentlich zu machen“. „Die Leute wollen ja etwas damit verändern, wenn sie Informationen weitergeben. Und am meisten Veränderung erreicht man, wenn man Primärquellen für alle zur Verfügung stellt.“

Vorausgesetzt, die Primärquellen sind, was sie zu sein vorgeben. Denn dass CIA und Konsorten schon auf den Gedanken gekommen sind, WikiLeaks gefälschtes Material unterzuschieben, darauf kann man sich verlassen. „Zunächst prüfen wir die elektronischen Dokumente rein technisch auf Manipulation. Dann kommt die klassische journalistische Arbeit.“ Recherche bei den betroffenen Stellen, Abgleichung der Fakten, Prüfen des Kontextes. Dabei greift man auch auf traditionelle Medien zurück: Bei den Afghanistan-Papieren etwa arbeitete WikiLeaks mit der „New York Times“, dem „Guardian“ und dem „Spiegel“ zusammen. Damit war auch gleich für die nötige Publizität gesorgt.


Die Taliban lesen WikiLeaks. Ungewollte Publizität bekamen dafür einige afghanische Kontaktleute der US-Truppen, deren Namen aus den Dokumenten hervorgingen. Es könnte sie ihr Leben kosten, denn auch die Taliban lesen WikiLeaks. Eine Steilvorlage für die USA: „Die Wahrheit ist, sie (WikiLeaks, Anm.) könnten bereits Blut an ihren Händen haben“, sagt Mike Mullen, der oberste Soldat im Pentagon.

Schmitt ist das Thema hörbar unangenehm: „Die Sorge ist sicher berechtigt. Genau deshalb haben wir auch 14.000 weitere Dokumente noch zurückgehalten.“ Die Plattform betrete allerdings ständig Neuland und gewinne auch stetig an Erfahrung dazu. Die Familien der Kontaktleute wird das wohl kaum beruhigen.

Zum Schluss eine Frage, die er wohl nicht mehr hören kann: Gibt es eine Agenda? Will WikiLeaks den Krieg in Afghanistan beenden? Schmitt: „Wir publizieren einfach Dokumente. Und jeder, der versucht Skandale aufzudecken, strebt damit eine Verbesserung an. Die ideale Verbesserung eines Kriegszustandes ist dessen Beendigung, von der menschlichen Seite aus gesehen. Wenn eine Folge ist, dass die Öffentlichkeit den Krieg nicht weiter unterstützt, wäre das schön.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Pentagon wollen unsere Papiere
Außenpolitik

Pentagon: Wir wollen unsere Papiere zurück

Die USA fordern, dass die Internetplattform WikiLeaks rund 77.000 geheime Kriegsdokumente wieder löscht und vor allem 14.000 noch nicht veröffentlichte zurückgibt. Der Druck auf Wiki-Leaks wurde erhöht.
Mysterioese Datei InternetPortal WikiLeaks
Außenpolitik

Mysteriöse Datei auf Internet-Portal WikiLeaks

Wie das US-Technologie-Magazin "Wired" berichtete, war eine 1,4 Gigabyte große Datei wenige Tage nach der Veröffentlichung von rund 92.000 US-Geheimdokumenten zum Afghanistan-Konflikt aufgetaucht.
WikiLeaks Mutmasslicher Informant USMilitaerhaft
Außenpolitik

WikiLeaks: Mutmaßlicher Informant in US-Militärhaft

Ein 22-jähriger US-Soldat soll vertrauliche Dokumente zum Afghanistan-Einsatz heruntergeladen haben. Er war bereits in Haft, weil er ein kompromittierendes Irak-Video weitergegeben hat.
Afghanistan: FBI soll Wikileaks-Informanten festnageln
Außenpolitik

Afghanistan: FBI soll Wikileaks-Informanten festnageln

US-Verteidigungsminister Gates und Generalstabschef Mullen wettern gegen die Veröffentlichung von Geheimakten. Indes steht ein Gefreiter der US-Armee erneut unter Verdacht die Dokumente weitergegeben zu haben.
WikiLeaks Kroatische Friedenstruppen Gefechten
Außenpolitik

WikiLeaks: Kroatische Friedenstruppen an Gefechten beteiligt

Kroatische Soldaten sollen in Afghanistan an Feuergefechten beteiligt gewesen sein, obwohl sie das als Friedenstruppen nicht dürfen. WikiLeaks-Gründer Assange verteidigt indessen die Veröffentlichung der Memos.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.