Als Politiker der kleinen Leute begann Alexander Lukaschenko vor 26 Jahren seine Karriere im unabhängigen Belarus. Jetzt ist er ein Autokrat, der gegen den Großteil der Bevölkerung herrschen will. Ob er die gegenwärtige Krise überstehen kann, ist alles andere als sicher. Auch weil es für ihn in ökonomischer Hinsicht immer enger wird.
Normalerweise wirbt Alexander Lukaschenko mit seinen vielen Freunden im Ausland: Staaten aus Ost und West, sie alle würden mit dem kleinen osteuropäischen Staat in engem, friedlichen Verhältnis stehen wollen. Das Land als diplomatische Drehscheibe, politische Brücke und begehrter Handelspartner: So stellt Minsk seinen Bürgern die Sicht des Auslandes auf Belarus dar. Doch seit zwei Wochen ist alles anders. Belarus ist zur belagerten Festung geworden, die von vielen Feinden umgeben ist. Beschuldigte Lukaschenko vor der Präsidentenwahl am 9. August Moskau der Destabilisierungsversuche, so holte er nun zum Angriff gegen den Westen aus. „Man will Chaos säen“, sagte er am Freitag. „Unser Vaterland ist in Gefahr.“
Bei einem Besuch in der westlichen Stadt Grodno am Samstag wiederholte der Autokrat seine These: Die USA würden mithilfe der Europäer seine Heimat schwächen und namentlich Grodno vom Rest des Landes abtrennen wollen. Zur Umsetzung des Plans sei ein spezielles Zentrum in der Nähe von Warschau eingerichtet worden. „Wir wissen, womit es sich befasst.“ Dass die USA nun eine Vermittlungsinitiative setzen, dürfte Lukaschenkos Theorie nur weiter befeuern. Wie am Samstag bekannt geworden ist, plant US-Vizeaußenminister Stephen Biegun in den nächsten Tagen einen Besuch in Litauen und Russland in Sachen Belarus.
Von Lukaschenko ist man in seiner 26-jährigen Regierungszeit viele schräge Thesen gewohnt. Doch die rhetorischen Geschütze, die der 65-Jährige in der gegenwärtigen Krise auffährt, sind besonders aggressiv und gefährlich. Sie sollen die letzten Unterstützer mobilisieren und als Rechtfertigung für weitere Repressionen dienen. Trotz einer beispiellosen Protestwelle gegen die massiven Wahlfälschungen bei der Präsidentenwahl vor zwei Wochen will der Langzeitherrscher nicht einlenken.