Eine Zeitung veröffentlicht überraschend Details über die minutiöse Überwachung des Oppositionspolitikers wenige Stunden vor seinem Zusammenbruch.
Moskau. Russische Oppositionelle leben in dem Wissen, dass ihre Telefone abgehört, ihre Bewegungen genau beobachtet und ihre Gespräche belauscht werden. Doch im Fall von Alexej Nawalny haben nun an die Öffentlichkeit gelangte Details über seine Überwachung eine besondere Sprengkraft. Denn es geht um die letzten Stunden vor der mutmaßlichen Vergiftung des Oppositionspolitikers.
Nawalny wurde nach seinem plötzlichen Zusammenbruch am vergangenen Donnerstag am Samstag mit einem Sanitätsflugzeug nach Deutschland ausgeflogen. Der 44-Jährige liegt im Koma und wird in der Berliner Charité behandelt. Die Ärzte führen derzeit Untersuchungen durch und wollen sich erst nach Abschluss zu seinem Gesundheitszustand äußern.
Am Wochenende veröffentlichte die russische Boulevardzeitung „Moskowskij Komsomolez“ jedenfalls Informationen aus Geheimdienstkreisen über Nawalnys Bewegungen und Kontakte auf seiner Sibirien-Reise. Die große Detailliertheit sticht hervor: Nawalny dürfte tatsächlich bestens beobachtet worden sein.
Aus dem Artikel geht hervor, dass der Oppositionspolitiker zunächst nach Nowosibirsk flog, um sich vor den russischen Lokalwahlen mit Anhängern zu treffen. Nach einigen Tagen sei Nawalny „mit drei Begleitern in zwei Autos“ nach Tomsk gefahren, wo er am 18. August – zwei Tage vor dem mutmaßlichen Anschlag – ankam. Nawalnys Team habe in einem Hotel sieben Zimmer reserviert. „Nawalny übernachtete nicht in dem Zimmer, das auf seinen Namen ausgestellt war“, stellt die Zeitung unter Berufung auf ihre Kontakte fest.
Nawalny habe sich vorsichtig in der Stadt bewegt und wollte keine Aufmerksamkeit erregen, heißt es. Am Abend vor dem geplanten Rückflug habe er mit einem Begleiter die Stadt verlassen, um ein Bad im Fluss Tom zu nehmen – das sei bei ihm „Tradition“ auf Reisen.
Warum Veröffentlichung?
Die geschilderten Details werfen Fragen auf: Wenn Nawalny so aufmerksam beschattet wurde, wie konnte ein mutmaßlicher Anschlag auf ihn verübt werden? Was wissen die Sicherheitsorgane? Unklar ist auch, was die Sicherheitskräfte mit der Öffentlichmachung ihrer Observationen bezwecken wollten.
Nawalnys Sprecherin, Kira Jarmysch, kommentierte, dass das Ausmaß der Überwachung sie „überhaupt nicht“ überrasche. Erstaunlich sei hingegen, dass die Sicherheitskräfte „nicht gezögert haben, allen davon zu erzählen“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2020)