Vor der Wohnung von Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch in Minsk waren am Mittwoch Unbekannte aufgetaucht. Sie verfasste eine Art Hilferuf an einen Journalismusverband, der diesen weiterleitete, worauf Diplomaten auf Besuch kamen.
Nachdem am Mittwoch Unbekannte vor der Wohnung der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch in Minsk aufgetaucht waren und dort herumschlichen, haben sich europäische Diplomaten, darunter die österreichische Botschafterin, spontan zu einem Blitzbesuch bei der 72-jährigen Weißrussin und Oppositionsaktivistin eingefunden. Sie ist derzeit vor Ort das letzte prominente Mitglied des oppositionellen „Koordinationsrates" in Freiheit.
"Meine erste persönliche Begegnung mit Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Hätte mir andere Umstände gewünscht", twitterte die österreichische Botschafterin in Weißrussland (Belarus), Aloisia Wörgetter, am frühen Nachmittag. Sie verbreitete ein Gruppenbild, das die Autorin im Kreis der Diplomaten zeigt.
Litauens Vizebotschafterin in Minsk, Asta Andrijauskiene, hatte gleichzeitig auf Facebook von einem "Express-Besuch der Solidarität“ geschrieben.
Oppositionsgremium zerschlagen
Das weißrussische Zentrum des weltweiten Journalistenverbandes PEN hatte zuvor, wie es heißt, eine Erklärung Alexijewitschs veröffentlicht: "Von meinen Freunden und Gleichgesinnten aus dem Präsidium des Koordinationsrats ist niemand mehr übriggeblieben. Alle sind im Gefängnis oder aus dem Land geworfen worden", kommentierte sie die jüngste Verhaftung des Juristen Maxim Snak. Bereits Anfang der Woche war die führende Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa verschleppt worden. Nach einem gescheiterten Versuch, sie per Auto in die Ukraine abzuschieben, dürfte sie jetzt in einem weißrussischen Gefängnis sein.
Alexijewitsch (Nobelpreis 2015) schloss ihre Erklärung mit der dringenden Mitteilung ab, dass ein Unbekannter an ihrer Wohnungstür läuten würde. Europäische Diplomaten interpretierten dies sichtlich als Alarmzeichen und fuhren zur Nobelpreisträgerin.

Angesichts der andauernden Proteste in Belarus (Weißrussland) will der autoritäre Staatschef Alexander Lukaschenko (66) indes eine Entscheidung über Neuwahlen bis Anfang nächsten Jahres. Von Dezember bis Jänner trete die Volksversammlung zusammen, die darüber entscheiden solle, sagte der Präsident in einem Interview mit russischen Staatsmedien in Minsk. "Auf diesem Kongress werden alle Termine festgeschrieben, bis hin zu Präsidentenwahlen, falls das nötig sein sollte", so der Präsident.
Zeichen des Machtzerfalls
Lukaschenko regiert bereits seit 1994. Die jüngste Präsidentenwahl im August hatte er massiv manipuliert und war daraus als klarer Sieger hervorgegangen, mit völlig unglaubwürdigen run d 80 Prozent der Stiummen. Seit der Abstimmung gibt es massive Proteste gegen Lukaschenko, schon zuvor war die Unruhe im Land groß gewesen. Dieses hat der Sicherheitsapparat offenbar noch im Griff, es mehren sich aber Zeichen, dass Lukaschenko (nicht zuletzt durch Drängen aus Moskau) die Macht in Bälde abgeben muss.
(APA/wg)