Hintergrund: Tod unter einem Steinhaufen

(c) AP (Markus Leoodolter)
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In mehreren islamischen Ländern gilt Steinigung als gerechte Strafe für (vermeintliche) Ehebrecher. Weltweit werden mehrere Dutzend Menschen pro Jahr gesteinigt, die Zahl hat in den vergangenen 20 Jahren zugenommen.

Wien. Sadika und Kajum waren ein Liebespaar, doch ihre Liebe wurde unter einem Steinhaufen begraben. Schwere Brocken türmten sich über ihren blutüberströmten Körpern. Das war am vergangenen Sonntag. Sadika zählte 20Jahre, ihr Freund war um acht Jahre älter. Sadika war mit einem anderen Mann verlobt, Kajum verheiratet. Daher war das Verhältnis den örtlichen Taliban ein Dorn im Auge. Das Paar wurde im nordafghanischen Kunduz hingerichtet – von 150Männern, die sie mit Steinen töteten.

„In Afghanistan oder Somalia sind Steinigungen kein seltenes Phänomen“, sagt Max Klingberg, Referent für den Nahen Osten bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. „Wir wissen das, weil es von dort Bildmaterial gibt.“ Zeugen filmen mit ihren Handykameras – manche in der Überzeugung, damit ein „besonders frommes Werk“ getan zu haben, so Klingberg.

Weltweite Tendenz steigend

Steinigungen, diese so archaisch anmutende Tötungsart, werden aber keineswegs nur von den ewiggestrigen afghanischen Taliban oder der islamistischen Al-Shabab-Miliz in Somalia praktiziert. Nichtregierungsorganisationen nennen rund zehn Länder, in denen Steinigung exekutiertes Recht ist. Dazu gehören etwa reiche Staaten des Nahen Ostens wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien; aber auch der Sudan, einige nordnigerianischen Bundesstaaten, der Jemen, die indonesische Provinz Aceh und der Iran.

Steinigungen hätten in den vergangenen 20 Jahren zugenommen, sagt Klingberg. Grund sei der erstarkende Fundamentalismus in der islamischen Welt. Verlässliche Zahlen sind allerdings schwer zu bekommen. „Es ist keine Massenform der Hinrichtung“, so der Experte. Man schätzt, dass ein paar Dutzend Menschen pro Jahr gesteinigt werden.

Während Sadikas und Kajums Ende einem Lynchmord ohne Verfahren gleichkam (ähnliche Fälle gab es auch in den Paschtunen-Gebieten Pakistans), wird die Steinigung in den meisten Fällen per Gericht verhängt. Ehebruch gilt in Ländern, deren Gesetz hauptsächlich auf dem islamischen Recht (Scharia) beruht, als Strafe, die mit Steinigung bestraft werden muss. Eine Anklage, die auch Sakineh Mohammadi-Ashtiani aus dem Iran droht, deren Fall während der vergangenen Wochen weltweit Aufsehen erregte. Seit 2006 sind laut Informationen von Amnesty International (AI) sechs Menschen im Iran gesteinigt worden, zuletzt ein Mann im Jahr 2009. Weitere acht Frauen und drei Männer erwarten laut AI diese Strafe.

Überlebenschance für Männer

Es sind in der Mehrzahl Frauen, die dieser Todesart zum Opfer fallen – obwohl die Steinigung grundsätzlich als Strafe für beide Geschlechter gelten kann. Doch hinter der höheren Zahl der Verurteilungen steht ein frauendiskriminierendes Rechtssystem: Bei Frauen ist Ehebruch oft „sichtbarer“ – wenn sie schwanger wird. „Die Schwangerschaft dient als Beweis für den außerehelichen Verkehr“, so Klingberg. Sie droht auch Witwen oder geschiedenen Frauen.

Zudem zählt die Aussage von Frauen vor Gericht nur die Hälfte. Und wenn ein Vergewaltigungsopfer vor Gericht aussagt, wird dies oft als „Geständnis“ einer Ehebrecherin aufgefasst. Und selbst beim Akt der Hinrichtung gilt unterschiedliches Maß: Üblicherweise werden Frauen bis zum Hals in der Erde vergraben, Männer nur bis zur Hüfte. Das verkürzt zwar einerseits die Hinrichtung, die bei Frauen zwischen fünf und 20Minuten dauert. Männer haben meistens einen längeren Leidensweg vor sich – und doch auch eine „äußerst geringe“ (Klingberg) Überlebenschance: Wenn sich die Verurteilten selbst aus dem Boden befreien können, gilt dies als Gottesbeweis – der Todgeweihte wird begnadigt.

Die Gegner der Scharia sind in den betroffenen Staaten in der Minderzahl. NGOs, die sich für Bewusstseinswandel einsetzen, werden oft unter Druck gesetzt. In Afghanistan riefen kürzlich 350islamische Geistliche Präsident Hamid Karzai zur Wiedereinführung der Scharia – samt Steinigung – auf. Für Sam Zarifi von Amnesty International Asien sind die brutalen Gewaltakte wie die Steinigung von Sadika und Kajum eine Methode, um die Menschen zu terrorisieren und die Macht der Taliban abzusichern. Ein „extrem beunruhigender“ Trend, so Zarifi.
Meinung, S.27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2010)

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Kommentare

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