Die USA wollten einen schnellen und billigen Krieg, geworden ist es ein langer, teurer. Eine Bilanz.
Als der Konvoi der 4tzStryker Brigade der zweiten Infanteriedivision gestern Früh die irakisch-kuwaitische Grenze überquerte, war die Freude der Soldaten groß: Es geht nach Hause.
US-Präsident Barack Obama hat sein Wahlkampfversprechen eingelöst: Er würde den Krieg im Irak beenden, und genau das hat er nun getan. Für die amerikanischen Truppen ist der Krieg im Irak vorbei.
Doch der Abzug der Kampftruppen ist nicht das Ende des amerikanischen Engagements in der Region. 50.000 US-Soldaten werden bis Ende 2011 im Irak bleiben, und die Vereinigten Staaten werden weiterhin jener Staat sein, der den größten Einfluss im Land ausübt.
Der 600-Millionen-Dollar-US-Botschaftskomplex ist die größte diplomatische Anlage der Welt: 619 beschusssichere Wohnungen, eine eigene Wasser- und Stromversorgung, Restaurants und Geschäfte. Eine Botschaft, so groß wie der Vatikan.
Am 20. März 2003 ist Präsident George W. Bush mit dem Ziel angetreten, „den Irak zu entwaffnen, die Bevölkerung zu befreien und die Welt vor einer großen Gefahr zu schützen“. „Ob dieses Ziel mehr als sieben Jahre später erreicht worden ist, ist viel weniger klar“, schreibt die US-Armeezeitung „Stars & Stripes“. Doch wie fällt eine Bilanz des Irak-Kriegs sieben Jahre danach aus?
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wollte einen billigen, schnellen Krieg, doch es sollte ein langer und teurer werden. 4416 US-Soldaten wurden getötet, 113.166 Iraker verloren ihr Leben, die Gesamtkosten des Krieges für die USA betragen rund drei Billionen Dollar – das ist eine Drei mit zwölf Nullen und entspricht dem siebenfachen jährlichen Bruttoinlandsprodukt von Österreich. Aber die politischen Kosten für die USA wiegen vermutlich noch schwerer: Der Angriffskrieg brachte das Land in die Rolle eines Aggressors, der das Völkerrecht missachtet. Die Bilder von den Häftlingsmisshandlungen im Gefängnis von Abu Ghraib durch amerikanische Soldaten, ein Video von der Exekution eines verwundeten Aufständischen während der Offensive in Fallujah – all das hat die Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten in Sachen Menschenrechte schwer untergraben.
Was steht auf der Haben-Seite? Zweifellos das Ende der Saddam-Hussein-Diktatur. Unter der Regentschaft des Baath-Regimes hätte der Irak wohl keine Zukunft gehabt. Saddam war ein grausamer Diktator, der einmal gegen Kurden, ein anderes Mal gegen Schiiten in seinem eigenen Land vorging. Politischer Dissens war ohnehin lebensgefährlich. Doch warum die USA nicht versucht haben, Saddam Hussein ohne Krieg aus Bagdad zu vertreiben, wird man nie erfahren.
Das Ende Saddams brachte auch das Ende der UN-Sanktionen. Heute gibt es in Bagdad alles zu kaufen, und wer über Geld verfügt, lebt heute im Irak besser als in anderen Entwicklungsländern. Freilich: Gute Einkunftsmöglichkeiten sind rar und viele Menschen leben in bitterer Armut.
Die Sicherheitslage hat sich nach Jahren bürgerkriegsähnlicher Zustände ein wenig entspannt, die Menschen wagen sich am Abend wieder auf die Straße. Und auch wenn es erst vor wenigen Tagen einen furchtbaren Anschlag mit 60 Toten gegeben hat, beklagen sich die Bagdader nicht, sondern erinnern sich daran, dass Anschläge dieser Größenordnung vor nicht allzu langer Zeit auf der Tagesordnung standen.
Dass die Bilanz nicht positiv ausfällt, ist zweifellos die Schuld der Regierung von George W. Bush. „Nation-Building“, also der Aufbau staatlicher Strukturen, war für die republikanischen Hardliner ein Unwort, zum politischen Unwillen gesellte sich kolossale Inkompetenz der handelnden Figuren.
Wertvolle Jahre wurden vertan. Erst in der letzten Zeit seiner Präsidentschaft, ab 2007, gelang es Bush, das Ruder herumzureißen und die mittlerweile außer Kontrolle geratene Situation in den Griff zu bekommen. Heute ist die Lage im Land zwar ernst, aber nicht hoffnungslos. Der Irak verfügt über gewaltige Ölreichtümer und hat großes Potenzial. Doch die politische Klasse des Landes ist mehr damit beschäftigt, die eigenen Pfründe zu sichern, als gemeinsam für die Wohlfahrt der Bürger zu arbeiten. Seit den Wahlen im März ist die irakische Politik lahmgelegt, die Regierungsbildung bis heute nicht erfolgt.
Die Nachbarländer profitieren von einem schwachen Irak: Manche sind daran interessiert, dass das auch so bleibt, und setzen alles daran, dass das Land nicht zur Ruhe kommt. Den Irakern bleibt die berechtigte Hoffnung, dass die nächsten sieben Jahre bessere als die vergangenen sein werden.
Der Abzug der Kampftruppen Seite 1
Die Kosten des Krieges Seite 2
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2010)