Irak: Das Ende eines langen Krieges

Ende eines langen Krieges
Ende eines langen Krieges(c) APN (Maya Alleruzzo)
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Die letzten amerikanische Kampftruppen verlassen den Irak. Bis 2011 soll der Abzug komplett sein. Der Status im Land: Politische Blockade, mangelhafte Versorgung der Bevölkerung, die Wirtschaft nimmt langsam Fahrt auf.

Eine Kolonne von US-Panzerfahrzeugen rumpelt der irakisch-kuwaitischen Grenze entgegen. Es geht vorbei an Stacheldraht und Schranken auf kuwaitisches Territorium. Für die Soldaten ist der Krieg vorbei, es geht nach Hause. Sieben Jahre und fünf Monate nach dem Einmarsch im Irak zieht die vierte Stryker-Brigade der zweiten Infanteriedivision am Donnerstag als letzte US-Kampfeinheit aus dem Irak ab – zwei Wochen vor Ablauf der Frist am 31. August, die Präsident Barack Obama für das Ende des Kampfeinsatzes gesetzt hat.

Die USA bleiben weiter im Irak stark präsent: 50.000 US-Soldaten sollen irakische Soldaten auf Wunsch bei Einsätzen begleiten, Spezialeinheiten mit Irakern weiter auf Terroristenjagd gehen, die Amerikaner helfen bei der Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte. Sichtbares Symbol für die fortgesetzte US-Präsenz ist die gewaltige Botschaftsanlage in Bagdad – die größte der Welt.

Sicherheit
. Nach dem Abzug der letzten amerikanischen Kampfeinheiten wird ein neues Kapitel im Irak aufgeschlagen. Die Aufständischen versuchen aus der Situation Kapital zu schlagen und haben in den vergangenen Wochen ihre Aktivitäten verstärkt.

Gleichzeitig ringen ausländische Kräfte um Macht und Einfluss im ölreichen Zweistromland. Die Türkei spielt eine konstruktive Rolle: Ankara ist an Stabilität und einem Ausbau der Handelsbeziehungen interessiert. Vor allem aber geht es den Türken um die territoriale Integrität des Landes: Eine Abspaltung des kurdischen Nordirak – die auch die türkischen Kurden zur Separation ermuntern könnte, soll unter allen Umständen verhindert werden. Der Iran hat ein entgegengesetztes Interesse: Die Schiiten wollen keinen starken Zentralstaat, sondern eine Stärkung der Regionen, vor allem des schiitischen Südens. Die Iraner sehen sich im neuen Irak als Schutzmacht der Schiiten und unterstützen sie bei diesem Ansinnen.

Dass der Irak eine Demokratie nach westlichem Muster werden könnte, daran hat Teheran kein Interesse. Saudiarabien wiederum sieht sich als Schutzmacht der sunnitischen Minderheit im Land, hat aber gleichzeitig kein gesteigertes Interesse daran, dass mit dem Irak eine ernst zu nehmende Ölförderkonkurrenz heranwächst.

Politik. Der aus Sicherheitsgründen geheim gehaltene beschleunigte Abzug der US-Kampftruppen hat wieder Dynamik in die zuletzt stagnierende irakische Innenpolitik gebracht. Seit den Wahlen im März haben die Politiker noch immer keine neue Regierung zustande gebracht. Staatspräsident Jalal Talabani appellierte an die politische Klasse seines Landes: „Ich rufe alle Parlamentarier, die Parteipolitiker und die Journalisten auf, alles zu unterlassen, was Zwietracht sät und die Stabilität unseres Landes gefährdet.“

Jüngste Gerüchte deuten darauf hin, dass es bald zu einer Einigung zwischen der Partei des säkularen Ex-Regierungschefs Iyad Allawi und der Bewegung des radikalen antiamerikanischen Schiiten-Predigers Muqtada al-Sadr in Bagdad kommen könnte. Allawis Liste Iraqiya errang zwei Sitze mehr als die Partei des bisherigen Premiers Nouri al-Maliki. Maliki und Allawi ringen seither hart um die Macht.

Das irakische Parlament ist seit den Wahlen vom 7. März erst dreimal zusammengetreten, insgesamt für weniger als eine Stunde. Die irakische Bevölkerung ist erzürnt: Während überall im Land riesige Probleme einer Lösung harren, erleben die Iraker, dass ihre Abgeordneten über Geschäftsordnungsdetails und Machtfragen streiten.

Neben dem Abzug ist der derzeitige politische Stillstand der zweite Grund, warum sich die Sicherheitslage in den vergangenen Wochen wieder dramatisch verschlechtert hat.
Wirtschaft
. Es geht bergauf, zumindest laut den Wirtschaftsdaten: Seit 2003 hat sich das Bruttoinlandsprodukt des Irak vervierfacht – von 13,6 Milliarden Dollar (2003) auf 60,9 Milliarden Dollar (2008). Auch die Erträge aus dem Ölexport sind in den vergangenen Jahren gestiegen. 170 Milliarden Euro will die irakische Regierung in den kommenden Jahren investieren, um die Ölförderung auszubauen. Bei den seit Ende 2009 an internationale Konzerne vergebenen Förderlizenzen für die riesigen Erdölreserven kamen übrigens nicht nur US-Firmen zum Zug, sondern auch eine Reihe europäischer, russischer und chinesischer Firmen.

Allerdings hemmen noch zahlreiche Faktoren eine erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung.

Die Gelder für Wiederaufbau liegen oftmals ungenutzt in den Staatskassen – die Regierung scheint mit der Aufgabe des Wiederaufbaus des Landes überfordert. Die Inflation lag 2009 bei 6,8 Prozent, internationale Investoren sind aber wegen der angespannten Sicherheitslage nach wie vor zurückhaltend. Deutschland, unter Saddam Hussein ein wichtiger Handelspartner des Irak, exportierte 2009 etwa Güter im Wert von 580 Millionen Euro in das Zweistromland. In den Achtzigerjahren erreichten die Exporte die Vier-Milliarden-Euro-Grenze.

Für Unternehmen, die im Land operativ tätig sind, kommt das Problem der mangelnden Versorgung mit Elektrizität hinzu (siehe nächster Punkt).

Infrastruktur
. Was regt die Iraker noch viel mehr auf als das letzte grausame Attentat? Die lückenhafte Stromversorgung. Die klappt nämlich seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 immer noch nicht.

19,5 Stunden Strom pro Tag, wie das amerikanische Brookings Institute in seinem letzten Irak-Bericht für den März 2010 in Bagdad angibt – das ist ein neuer Rekord. Die Jahre davor mussten die Iraker im Durchschnitt mit mageren fünf, sechs Stunden pro Tag auskommen. In der restlichen Zeit müssen Dieselgeneratoren laut rumorend die Kämpfer gegen die Hitze von bis zu 50 Grad Celsius – Klimaanlagen und Kühlgeräte – befeuern. Warum es die Amerikaner auch nach Investitionen in Höhe von 4,6 Milliarden Dollar ins Stromnetz nicht geschafft haben, ebendieses wiederherzustellen, bleibt vielen Irakern ein Rätsel.

Ähnlich dürftig sieht es bei Trinkwasserversorgung, Kanalisation und Müllabfuhr aus: Nur jeder Fünfte hatte im Februar 2009 Trinkwasser zur Verfügung, 55 Prozent der Iraker verfügen über keine Müllabfuhr. Weniger als ein Drittel der irakischen Bürger hat Zugang zu Gesundheitsversorgung.

Was die Chancen der Jungen angeht, sieht es noch trister aus: Nur 30 Prozent von Iraks 3,5 Millionen Studenten besuchten 2007 auch tatsächlich die Universität.

Daher nimmt es nicht Wunder, dass die Zahl der Rückkehrer bislang überschaubar geblieben ist – vor allem Gutausgebildete überlegen es sich zweimal, ob sie wirklich ein Teil des neuen Irak unter den heutigen Bedingungen sein wollen. Von den seit 2003 etwa 20.000 exilierten Ärzten sind bisher nur wenige zurückgekehrt.

Leitartikel Seite 31

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2010)

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