Grundrechte

VfGH hebt Verbot von Beihilfe zum Suizid auf

Zum Verbot der Sterbehilfe gab es am 24. September eine öffentliche mündliche Verhandlung
Zum Verbot der Sterbehilfe gab es am 24. September eine öffentliche mündliche Verhandlung APA/HERBERT NEUBAUER
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Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, befand der VfGH. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) kippt - mit Wirksamkeit 1. Jänner 2022 - die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid. Der Straftatbestand der "Hilfeleistung zum Selbstmord" verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung. Es sei verfassungswidrig, jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, befand der VfGH. Tötung auf Verlangen bleibt dagegen weiterhin strafbar.

Die Aufhebung der Beihilfe zum Suizid mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft. Bis dahin hat der Gesetzgeber Zeit, Maßnahmen gegen Missbrauch zu treffen.

Anträge unter anderem von Arzt und Schwerkranken

Nach den Paragrafen 77 und 78 des Strafgesetzbuches sind aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen, wenn etwa ein Arzt auf expliziten Wunsch des Patienten ein tödliches Medikament verabreicht) sowie Mitwirkung am Suizid bisher verboten. Beide Delikte sind mit bis zu fünf Jahren Haft bedroht.

Vier Antragsteller – darunter zwei Schwerkranke und ein Arzt – hielten diese Verbote aus mehreren Gründen für verfassungswidrig und haben daher beim VfGH die Aufhebung dieser beiden Bestimmungen des Strafgesetzbuches beantragt: Durch diese Rechtslage würden leidende Menschen gezwungen, entweder entwürdigende Verhältnisse zu erdulden oder – unter Strafandrohung für Helfer – Sterbehilfe im Ausland in Anspruch zu nehmen.  

Verstoß gegen Recht auf Selbstbestimmung

Die Wortfolge "oder ihm dazu Hilfe leistet" in Paragraf 78 des Strafgesetzbuches ist verfassungswidrig, heißt es in dem VfGH-Spruch. Sie verstößt gegen das Recht auf Selbstbestimmung, weil dieser Tatbestand jede Art der Hilfeleistung unter allen Umständen verbietet. Er leitete seine Entscheidung aus dem Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung ab.

"Dieses Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst das Recht auf die Gestaltung des Lebens ebenso wie das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben. Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Sterbewilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen. Das Verbot der Selbsttötung mit Hilfe eines Dritten kann einen besonders intensiven Eingriff in das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestimmung darstellen. Beruht die Entscheidung zur Selbsttötung auf der freien Selbstbestimmung des Betroffenen, so ist dies vom Gesetzgeber zu respektieren", befand der VfGH.

Es macht demnach keinen Unterschied, ob der Patient im Rahmen der Behandlungshoheit oder der Patientenverfügung in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes lebensverlängernde oder lebenserhaltende medizinische Maßnahmen ablehnt oder ob ein Suizident mithilfe eines Dritten in Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes sein Leben beenden will. Entscheidend sei vielmehr in jedem Fall, dass die jeweilige Entscheidung auf der Grundlage einer freien Selbstbestimmung getroffen wird.

Nach Auffassung der Verfassungsrichter steht es zu dem sowohl in der verfassungsrechtlich begründeten Behandlungshoheit als auch in Paragraf 49a Abs. 2 Ärztegesetz 1998 zum Ausdruck kommenden Stellenwert der freien Selbstbestimmung im Widerspruch, dass Paragraf 78 zweiter Tatbestand StGB jegliche Hilfe bei der Selbsttötung verbietet.

Wenn einerseits der Patient darüber entscheiden kann, ob sein Leben durch eine medizinische Behandlung gerettet oder verlängert wird, und andererseits durch Paragraf 49a Ärztegesetz sogar das vorzeitige Ableben eines Patienten im Rahmen einer medizinischen Behandlung in Kauf genommen wird, sei es nicht gerechtfertigt, dem Sterbewilligen die Hilfe durch einen Dritten bei einer Selbsttötung zu verbieten und derart das Recht auf Selbstbestimmung ausnahmslos zu verneinen.

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Der VfGH übersehe nicht, dass die freie Selbstbestimmung auch durch vielfältige soziale und ökonomische Umstände beeinflusst wird. Dementsprechend habe der Gesetzgeber zur Verhinderung von Missbrauch Maßnahmen vorzusehen, damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst.

Jemand anderen zur Selbsttötung zu verleiten, bleibt strafbar (erster Tatbestand des Paragraf 78 StGB). Die Entscheidung, sich unter Mitwirkung eines Dritten zu töten, ist nur dann grundrechtlich geschützt, wenn sie, wie bereits ausgeführt, frei und unbeeinflusst getroffen wird. Diese Bedingung ist von vorneherein nicht erfüllt (Tatbestand des "Verleitens").

Die Anfechtung von Paragraf 77 StGB (Tötung auf Verlangen) ist nicht zulässig, befand der VfGH. Im Falle einer Aufhebung wäre die Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen als Mord oder Totschlag zu ahnden. Mit der Aufhebung wären daher die Bedenken der Antragsteller gegen Paragraf 77 nicht ausgeräumt, insofern war der Anfechtungsumfang zu eng.

„Recht auf menschenwürdiges Sterben“ 

Maßgeblich für die Entkriminalisierung der Hilfeleistung beim Selbstmord durch die Verfassungsrichter war das aus der Verfassung abgeleitete Recht auf Selbstbestimmung. "Dieses Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst sowohl das Recht auf die Gestaltung des Lebens als auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben", sagte VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter bei der Erläuterung der Entscheidung am Freitag.

Zur freien Selbstbestimmung gehöre die Entscheidung, wie man sein Leben gestalte, so der VfGH-Präsident. "Ebenso gehört dazu aber auch die Entscheidung des Einzelnen, ob und aus welchen Gründen er sein Leben in Würde beenden will. All dies hängt von den Überzeugungen und Vorstellungen jedes Einzelnen ab und liegt in seiner Autonomie." Und: "Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Suizidwilligen, die Hilfe eines (dazu bereiten) Dritten in Anspruch zu nehmen."

Nicht aufgehoben wird das Verbot der aktiven Sterbehilfe, also das Verbot der "Tötung auf Verlangen". Dies zwar auch aus formalen Gründen: Hätten die Verfassungsrichter diese Bestimmung (Paragraf 77 Strafgesetzbuch) gekippt, dann müsste Sterbehilfe als Mord verfolgt werden. Dies hätte eine deutlich höhere Strafdrohung als bisher (sechs Monate bis fünf Jahre) zur Folge. Allerdings betonte Grabenwarter auch, dass die Gründe für die Aufhebung des Verbots der Mitwirkung am Selbstmord nicht ohne Weiteres auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Verbots der "Tötung auf Verlangen" übertragbar seien.

(APA/Red.)

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