Kanzler Faymann will die Länder zu Transparenz bei Agrarsubventionen zwingen. Notfalls per Verfassungsgesetz. Ein großer Teil der Förderungen erreicht nicht die Kleinbauern, sondern geht an Großbetriebe.
Wien (ju/geme/oli). Die Praxis der Agrarförderung in Österreich löst nun eine heftige Diskussion um „Verteilungsgerechtigkeit“ aus: Bundeskanzler Werner Faymann sagte gestern zur „Presse“, er wolle die Subventionspraxis „durchforsten“ und Doppelförderungen abstellen. Dazu sei es notwendig, dass die Bundesländer alle ihre Förderdaten der neuen Transparenzdatenbank zur Verfügung stellen. Sollten sich die Länder hier querlegen, dann sei die Regierung bereit, das per Verfassungsgesetz zu erzwingen.
Förderkürzungen werden wahrscheinlich die „Großen“ hinnehmen müssen: Landwirschaftsminister Niki Berlakovich sagte gestern zur „Presse“, es sei zwar „natürlich“, dass große Betriebe mehr Förderung bekämen als kleine, weil Kosten für die ökologische Bewirtschaftung ja hektargebunden seien. Er werde sich bei den Verhandlungen für die 2013 anstehende Reform der EU-Agrarpolitik aber für Förderobergrenzen einsetzen.
Ex-EU-Agrarkommissär Franz Fischler, der sich ebenfalls für Obergrenzen ausgesprochen hatte, meinte am Dienstag, Agrarförderungen sollten nur noch an Vollerwerbsbetriebe bezahlt werden. Ein relativ großer Teil der österreichischen Landwirte führt ihren Betrieb im Nebenerwerb.
Ausgelöst wurde die Debatte durch die Veröffentlichung des „Schwarzbuchs Landwirtschaft“ des Sachbuchautors Hans Weiss („Die Presse“ berichtete). Darin wird unter anderem die extrem schiefe Verteilung der Agrarsubventionen kritisiert.
Tatsächlich klaffen im derzeitigen Agrarsystem Anspruch und Wirklichkeit extrem auseinander: Während die Landwirtschaftskammer betont, Agrarförderungen seien nötig, um die kleinstrukturierte Landwirtschaft zu erhalten, zeigen die Förderstatistiken, dass ein großer Teil der Subventionen an Großbetriebe und an die Nahrungsmittelindustrie fließt.
Fischler sagte, das „größte Problem“ im System sei der Aufteilungsschlüssel 80 zu 20: 80 Prozent der Förderung gehen an die 20Prozent der größten Betriebe. Laut dem „Grünen Bericht“ des Landwirtschaftsministeriums bekommen jene 1,6 Prozent der Betriebe, die mehr als je 50.000 Euro Direktzahlungen im Jahr erhalten, 10,7Prozent des Förderkuchens. Am unteren Ende (bis 5000 Euro Direktzahlung) müssen 36,9 Prozent der Betriebe mit nur 7,1 Prozent der Fördersumme auskommen. Ein großer Teil der Förderungen geht also nicht in die „kleinstrukturierte“ Landwirtschaft.
Wie fehlgeleitet die Subventionen (immerhin 2,2 Milliarden Euro im Jahr) sind, zeigen noch ein paar andere Daten:
•Unter den zehn größten Subventionsempfängern befinden sich ausschließlich Unternehmen (darunter Agrana und AMA) und Verbände, aber kein einziger Bauer.
•Dafür finden sich sechs der zehn reichsten Österreicher unter jenen, die mehr als 100.000 Euro Förderung im Jahr erhalten.
•Insgesamt werden in Österreich 4215 Nichtbauern („sonstige Förderwerber“) mit Agrarsubventionen bedient, davon 100 Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie.
Das ist aber kein österreichisches Phänomen: Größter Agrarförderungsnehmer in Europa ist der Nahrungsmittelkonzern Nestlé, in Deutschland erhielt sogar der Rüstungskonzern Rheinmetall 83.000 Euro Agrarsubvention: für die „Umforstung“ seiner Munitionserprobungsflächen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2010)