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Medium für junges Publikum: Melisa Erkurt gründet "Die Chefredaktion"

Melisa Erkurt
Melisa ErkurtMirjam Reither / picturedesk.com
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Mit ihrem Digital-Medium „Die Chefredaktion“ lässt Journalistin und Buchautorin Melisa Erkurt Worten Taten folgen. Und öffnet Türen, die sonst für viele junge Menschen verschlossen geblieben wären.

Wenn sie in ihrer Arbeit mit Jugendlichen – sei es während ihrer Tätigkeit als AHS-Lehrerin oder im Zuge des Schulprojekts „Newcomer“ des Magazins „biber“ – eines gelernt habe, sagt Melisa Erkurt, dann nicht an bestehenden Strukturen festzuhalten, sondern flexibel zu sein, zuzuhören und unkonventionelle Zugänge zu fördern. Eine über die Jahre gereifte Erkenntnis, die sie nun quasi zum Konzept ihres soeben gestarteten Medienprojekts gemacht hat. „Die Chefredaktion“ heißt der Kanal auf Instagram (die_chefredaktion) und ist das erste Format des neu gegründeten Biber Newcomer Netzwerks (BNN) mit Erkurt als Programmdirektorin.

In den kommenden Monaten wird sie – in einem öffentlichen Verfahren, das auf Instagram verfolgt werden kann – junge Menschen zwischen 14 und 24 Jahren rekrutieren, die selbstständig Beiträge vorschlagen, recherchieren und verfassen. Dabei soll nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Entstehungsgeschichte veröffentlicht werden – von der Idee über die Auswahl der Gesprächspartner bis hin zur Entscheidung, ob aus dem Material ein Artikel oder ein Video, also eine Insta-Story werden soll. Mit dem Ziel, insbesondere unter Jugendlichen verbreitete Vorbehalte abzubauen und zu demonstrieren, dass Journalismus unabhängig und frei von politischen oder sonstigen Einflüssen betrieben wird.

Als „Reality-TV-Journalismus“ habe das zuletzt jemand abfällig bezeichnet. „Aber für mich ist das ein Kompliment“, sagt Erkurt. „Wir setzen auf Transparenz und wollen so Vertrauen und Glaubwürdigkeit gewinnen.“ Ihre Rolle sei dabei nicht die einer Chefredakteurin, sondern einer Mentorin. „Chefredakteure sind alle, die mitarbeiten. Ihnen obliegt es, welche Geschichten wie, wann und in welcher Geschwindigkeit erzählt werden.“ Sie selbst werde sich mit handwerklichen Tipps einbringen. Zuletzt war Erkurt, die mit ihrem Bestseller „Generation Haram – Warum Schule lernen muss, allen eine Stimme zu geben“  das meistdiskutierte Buch des vergangenen Jahres herausbrachte, beim ORF-„Report“ tätig, zudem schreibt sie eine wöchentliche Kolumne im „Falter“ und betreut den Ö1-Podcast „Sprechstunde“.

Abbild der Gesellschaft

Bei den Journalistinnen und Journalisten wird es sich zumeist um Schüler und Studierende handeln, aber nicht nur. Ein Studium ist keine Voraussetzung für eine Bewerbung, die offiziell ab Ende Februar möglich sein wird. Die Redaktion – derzeit besteht sie neben Erkurt aus einer angestellten Praktikantin und einem freien Redakteur – soll sich letztlich aus rund zehn jungen Menschen mit unterschiedlichem kulturellen und sozialen Hintergrund zusammensetzen und somit die Gesellschaft abbilden. „Die meisten werden wohl anfangs als Freie mitmachen und pro Beitrag bezahlt, aber zwei bis drei sollen auch angestellt sein“, sagt Erkurt, die den Aufbau des Teams ohne Eile angehen will. Denn Menschen mit Diskriminierungserfahrungen gehörten üblicherweise nicht zu den Ersten, die sich melden, weil sie sich keine realistischen Chancen ausrechnen würden. Ihnen wolle sie genug Zeit geben, sich ein Bild von diesem, wie sie sagt, „Experiment“ zu machen und sie für eine Bewerbung zu ermutigen.

Behandelt werden sollen vor allem Themen, über die sich junge Menschen auch auf Instagram austauschen – aktuelle politische Ereignisse wie die vergangene Woche stattgefundene Abschiebung Minderjähriger etwa; aber auch Beiträge über psychische Gesundheit sowie toxische Beziehungen und Freundschaften. Immer aus dem Blickwinkel jener jungen diversen Zielgruppe, die etablierte Medien nicht erreichten – was sie schon seit Jahren beklage. Daher habe sie beschlossen, „nicht mehr zu jammern und anderen ihre Versäumnisse vorzuhalten, sondern selbst zu versuchen, dieses Publikum anzusprechen“.

Weitere Formate geplant

Ein Unterfangen, dessen Finanzierung dank einer Förderung der Mega Bildungsstiftung in Höhe von 200.000 Euro zumindest für das erste Jahr gesichert ist. Auch bei der Wiener Medieninitiative wurde um eine Förderung angesucht, zusätzliche Einnahmen sollen Modelle wie etwa kostenpflichtige Newsletter bringen. Geplant sind nämlich weitere Formate aus dem Biber Newcomer Netzwerk, die auf unterschiedlichen digitalen Kanälen journalistische Inhalte anbieten.

Zunächst liege aber die Hauptaufgabe darin, „Die Chefredaktion“ zu etablieren – „mit einem Team, das wöchentlich Beiträge publiziert, in der Branche Fuß fasst und im besten Fall irgendwann ohne mich auskommt“, sagt Erkurt, die bei den Vorbereitungen von Simon Kravagna beraten wurden, dem Gründer von „biber“ und nunmehrigem Geschäftsführer des fjum (forum journalismus und medien). Ein Erfolg ist das Projekt für sie schon jetzt – allein durch seine Gründung und das enorme Interesse daran. Daher gebe es auch keine Vorgabe, was Follower auf Instagram angeht. Das ursprüngliche Ziel, bis zum Sommer auf 5000 zu kommen, ist jedenfalls nicht mehr aktuell. Es wurde am ersten Tag erreicht.

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