Es liegt in der Natur jeder Krisenbewältigungsstrategie, zuerst den Ballast abzuwerfen. Doch irgendwann ist Schluss mit Sparen. Dann braucht es neue Geschäftsideen.
Wer schon ein paar Jahrzehnte im Geschäft ist, hat schon ein paar Krisen erlebt. Von Öl- bis Finanzkrise lief immer das Gleiche ab: erst sparen, dann innovieren. Halt, bei der Coronakrise ist etwas anders: Hier heißt es erst sparen, dann Staatshilfen lukrieren, dann innovieren.
Dass es hoch an der Zeit ist, in den Innovationsmodus umzuschalten, bestätigen die jüngst erschienenen „Deloitte Human Capital Trends“ („Die Presse“ berichtete). Ausdrücklich meinen sie nicht, bloß menschliche Arbeit gegen Digitalisierung abzutauschen. Solche Maßnahmen, so vernünftig sie manchmal sein mögen, zielen auf Effizienzsteigerungen ab. Die greifen jetzt zu kurz. Jetzt braucht es bahnbrechend Neues.
In diesem Zusammenhang sei die Kunst in Erinnerung gerufen, Unternehmen „beidhändig“ zu führen. Beidhändig heißt, mit der einen Hand das bestehende Portfolio auszuschöpfen und in Umsatz und Gewinn zu verwandeln. Mit der anderen Hand – gleichrangig und mit gleicher Energie – kümmert man sich um jene Innovationen, die die Zukunft sichern sollen.
1. Ausschöpfungs-Portfolio
Hier geht es um das bestehende Angebot, um Effizienz (ja, auch um Automatisierung) und Wachstum. Um dieses Portfolio zu handeln, braucht es Manager, die verlässlich, zeit- und kostentreu planen, organisieren und abwickeln. Die aus fixen vorgegebenen Budgets das Beste machen und zuverlässig ihre Zahlen liefern. Das größte Risiko für das Ausschöpfungs-Portfolio sind unvorhergesehene Krisen (Corona gehört dazu), neue Technologien, Mitbewerber oder Gesetzesänderungen. Spätestens dann muss das Geschäft neu erfunden werden und es heißt: zurück ins Auslotungs-Portfolio.
2. Auslotungs-Portfolio
Hier werden Geschäftsideen geboren und entwickelt, bis sie groß genug sind, um ausgeschöpft zu werden. Früher geschah das nach langwierigen Planungs- und Entwicklungszyklen.
Nach der Finanzkrise von 2008 freundeten sich Unternehmen weltweit mit der Start-up-Attitüde an: Gut ist, wohinter man skalierbare Geschäftsmodelle erkennt. Für solche Ideen stellt man Hypothesen auf, hinsichtlich Erwünschtheit im Markt, Umsetzbarkeit, Rentabilität und Anpassbarkeit an neue Bedingungen. Diese Hypothesen testet man mit billigen Prototypen (MVPs, Minimum Viable Products) gemeinsam mit den potenziellen Kunden. Finden die das Angebot so gut, dass sie auch dafür zahlen würden, entwickelt man die Prototypen weiter. Ansonsten passt man sie an oder lässt sie schnell sterben. Hier sind die Budgets sind anfangs winzigklein und steigen mit jeder erfolgreich absolvierten Testrunde.
Eine solche Arbeitsweise verlangt nach Entrepreneuren mit unerschöpflichen Energiereserven, denen Ungewissheit nichts ausmacht. Ob sie scheitern oder vorankommen, eine Lernlektion ist ihnen genauso viel wert wie ein erfolgreich absolvierter Testlauf. Manche Autoren (siehe Buchtipp) empfehlen, den Chief Entrepreneur gleichrangig mit dem CEO, der das Ausschöpfungs-Portfolio managt, direkt dem Vorstandsvorsitzenden zu unterstellen. Nur das gewährleiste Gleichrangigkeit.
Radikaler Umbruch
Wer nicht zwei Portfolios nebeneinander führen will, kann gleich über einen radikalen Geschäftsmodellwandel nachdenken. Etwa Zielgruppe oder Vertriebskanal betreffend: Von der Nische zum Massenmarkt (Tesla!) oder umgekehrt, wie zahlreiche Craft-Biere es beweisen. Oder unter Ausschaltung des Zwischenhandels, wie Nespresso oder die Apple Stores es vormachen.
Oder die Art betreffend, wie man Wert für den Kunden erschafft. Mobilfunker HoT belastet sich erst gar nicht mit eigener Netzwerkinfrastruktur, sondern kauft sie zu und stellt sie fixkostenfrei seinen Kunden zur Verfügung. Big Data kann hier gute Dienste leisten: 23andMe verdient am Verkauf von DNA-Tests direkt an Verbraucher. Für deren (anonymisierte) Daten interessieren sich wiederum Medizin- und Pharmaindustrie – Doppeljackpot.
Beim dritte radikalen Geschäftsmodellwandel denkt man nach, wie Gewinne uns Kosten auf völlig neue Art entstehen können. Berühmt ist das Hilti-Beispiel, das nicht mehr am Verkauf seiner Geräte verdient, sondern am Full Service für den gesamten Gerätepark seiner Kunden, inklusive Fremdmarken. Adobe spart sich jede Menge Akquise- und Wiedergewinnungskosten, seit Kunden die Suiten nicht mehr alle paar Jahre neu erwerben müssen. Mit einem Abo-Modell mit Jahresgebühr, das alle Updates inkludiert, hat Adobe sie langfristig am Haken.
("Die Presse", Printausgabe vom 6. Februar 2021)